Nach den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg ist die Angst vor
weiterer Gewalt groß. Die JUNGE FREIHEIT hat mit dem Polizeiexperten Jan Timke über die Überlastung der Sicherheitsbehörden, die mangelhafte
Überprüfung von Asylbewerbern und das Versagen der Politik gesprochen.
Herr Timke, die Terroranschläge von Ansbach und Würzburg schockieren Deutschland. Müssen wir uns an den Terror gewöhnen?
Timke: Ja, das steht leider zu befürchten. Gerade
erst hat die Polizeibehörde Europol gewarnt, daß es in Europa
mittlerweile mehrere hundert radikale Islamisten gebe, die bereit sein,
Terroranschläge zu verüben. Deutschland steht neben Frankreich im Fokus
der Extremisten, was durch die schrecklichen Anschläge der jüngsten Zeit
auch der breiten Öffentlichkeit bewußt geworden ist. Die dürften aber
erst der Anfang gewesen sein. Es ist leider mit weiteren Terrorakten in
Deutschland zu rechnen.
Kann die Polizei uns noch schützen?
Timke: Seit dem Jahr 2000 sind deutschlandweit
16.000 Stellen sind bei der Polizei abgebaut worden. Diese Größenordnung
entspricht der Personalstärke der Berliner Polizei. Ein derart
dramatischer Aderlaß hat natürlich Folgen für die tägliche Arbeit der
Polizei. In vielen Deliktbereichen wird Kriminalität nicht mehr
bekämpft, sondern nur noch verwaltet. Die Polizei befindet sich
mittlerweile im Wachkoma. Vor diesem Hintergrund ist es abwegig
anzunehmen, die Polizei könne die Bevölkerung vor zukünftigen Attentaten
umfassend schützen.
Warum fällt es den Sicherheitsbehörden so schwer, Islamisten unter den Asylsuchenden auszumachen und festzunehmen?
Timke: Die Asylsuchenden kommen nach wie vor
unkontrolliert nach Deutschland. Wegen der Masse an Asylanträgen ist es
den Mitarbeitern des zuständigen Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) kaum möglich, Herkunft und Identität der Zuwanderer
zu überprüfen, zumal über 70 Prozent ohne Personalpapiere einreisen.
Trotzdem bleiben die meisten in Deutschland, erhalten vielfach einen
Flüchtlingsstatus oder werden zumindest geduldet. In dieser Masse von
Zuwanderern islamistische Gefährder zu identifizieren wäre für die
Sicherheitsbehörden nur mit erheblichem Personaleinsatz möglich. An
diesem Personal fehlt es aber.
Hinzu kommt, daß sich viele der Täter erst in Deutschland häufig über
das Internet radikalisieren, und ihre Aktionen in kurzer Zeit
vorbereiten und durchführen. Bis vor einigen Jahren war das noch anders.
Früher haben sich Terroristen in Gruppen zusammengeschlossen und ihre
Anschläge monatelang minutiös geplant, um eine möglichst große Wirkung
mit internationaler Beachtung zu erzielen und in die Geschichtsbücher
einzugehen.
Das beste Beispiel ist 9/11. Doch die Extremisten haben gelernt. Man
hat erkannt, daß eine lange Vorbereitungen und viele Mitwisser die
Gefahr erhöhen, von den Sicherheitsbehörden entdeckt zu werden, bevor
der Anschlag ausgeführt werden kann. So wie bei der 2007 verhafteten
Sauerland-Gruppe, die in Deutschland Sprengstoffattentate begehen
wollte.
Heute geht die Gefährdung in erster Linie von Einzeltätern aus, die
in ihrem Umfeld gar nicht als potentielle Attentäter wahrgenommen
werden, weil sie sich unauffällig verhalten. Diese Terroristen setzen
auch keine Schußwaffen oder Sprengstoff bei der Tatbegehung ein, sondern
nutzen Alltagsgegenstände wie Messer, Äxte oder Fahrzeuge, die sie
gegen weiche Ziele verwenden. Für die Sicherheitsbehörden ist es
faktisch unmöglich, solche Taten zu verhindern.
Warum weist die Bundespolizei an den Grenzen Asylbewerber ohne Papiere nicht einfach ab?
Timke: Zwar läßt es das Asylgesetz grundsätzlich zu,
Asylsuchende, die ohne Papiere und damit illegal in die Bundesrepublik
einreisen wollen, an der Grenze zurückzuweisen. Allerdings ist diese
Regelung nach herrschender juristischer Meinung nicht mehr anwendbar,
weil die nationalen Vorschriften durch europäisches Recht und hier
insbesondere die Dublin-Verordnung überlagert werden. Danach sind
Flüchtlinge in den EU-Mitgliedsstaat zurückzuführen, der für die
Bearbeitung des Asylantrags nach den Vorschriften der Dublin VO
zuständig ist. Und das sind im Regelfall nicht unsere Nachbarländer,
sondern die Staaten, in denen der illegal eingereiste Ausländer erstmals
den Boden des Schengenraums betreten hat, also vor allem Griechenland,
Italien und Spanien.
Was wir brauchen sind Aufnahmezentren an den Außengrenzen der EU z.B.
in ausgewählten Staaten Nordafrikas auf Basis vertraglicher
Vereinbarungen mit den Regierungen dieser Länder. Die Aufnahmezentren
werden von der EU finanziert und ggf. in Kooperation mit der UNO
überwacht, um menschenwürdige Bedingungen sicherzustellen.
Die Einrichtungen sollen als verbindliche Anlaufstelle für alle
Zuwanderer fungieren, die aus Drittstaaten in die EU einreisen wollen
und über kein Visum verfügen. Asylanträge können ausschließlich in
diesen Zentren gestellt werden. Wer es dennoch andernorts tut, wird sofort in eines
der Aufnahmezentren verbracht. Damit entfiele jeder Anreiz, sich auf
die gefährliche Reise nach Europa zu machen. Dieses Modell würde nicht
nur die Schlepperbanden arbeitslos machen, sondern auch unzählige
Menschenleben retten.
Tatsächlich schutzbedürftige Menschen, deren Herkunft eindeutig
geklärt werden konnte, werden aus den Aufnahmezentren auf sicherem Weg
in die EU verbracht und dort nach einem bestimmten Schlüssel auf die
Mitgliedsstaaten verteilt. Alle anderen sind in ihre Herkunftsländer
zurückzuführen oder haben in den Zentren zu verbleiben.
Wenig zielführend ist dagegen der Vorschlag, daß Asylanträge
zukünftig nur noch bei den diplomatischen Vertretungen der
Bundesrepublik Deutschland in aller Welt gestellt werden dürfen. Das
würde die Zahl der Zuwanderungswilligen vervielfachen, weil sich niemand
mehr auf die lange und kostspielige Reise nach Europa machen müßte, um
Asyl begehren zu können.
Nach dem Zug-Attentat in Würzburg hat sich die
Eisenbahngewerkschaft dafür ausgesprochen sogenannte „Train Marshalls“
einzusetzen. Also bewaffnete Zivilpolizisten, die Attentate in Zügen
verhindern sollen. Was halten Sie davon?
Timke: Dieses Modell wird im Luftverkehr schon seit
längerem praktiziert. Dort werden auf bestimmten Linien
Flugsicherheitsbegleiter der Bundespolizei, so genannte „Sky Marshalls“,
eingesetzt, die im Ernstfall das Leben von Crew und Passagieren
schützen. Ob dieses Konzept allerdings auf den Bahnverkehr übertragbar
ist und zu mehr Sicherheit beitragen würde, wage ich zu bezweifeln.
Bei etwa 32.000 Personenzügen, die täglich durch Deutschland fahren,
könnte nur ein Bruchteil der Züge von „Train Marshalls“ begleitet
werden. Außerdem gibt es schon jetzt eine Sicherheitskooperation
zwischen den Polizeibehörden von Bund und Ländern und der Deutschen
Bahn, die dazu geführt hat, daß deutlich mehr uniformierte
Sicherheitskräfte auf Bahnhöfen und in Zügen unterwegs sind als das
früher der Fall war.
Der Selbstmordattentäter von Ansbach war abgelehnter
Asylbewerber. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert nun die
Wiedereinführung der „Abschiebehaft“. Sollten abgelehnte Asylbewerber,
die nicht ausreisen, grundsätzlich hinter Schloß und Riegel?
Timke: Die Abschiebehaft ist zweifellos ein probates
Mittel, um abgelehnte Asylbewerber bis zu ihrer Ausreise in staatliche
Obhut zu nehmen. Abschiebehaft sollte grundsätzlich für
ausreisepflichtige Personen angeordnet werden, die bereits straffällig
geworden sind oder im Verdacht stehen, extremistische Gefährder zu sein.
Durch die Abschiebehaft könnte auch verhindert werden, dass abgelehnte
Asylbewerber in die Illegalität abtauchen, bevor sie außer Landes
gebracht werden können.
Aus der Union werden Stimmen laut, alle Asylbewerber von
Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz in persönlichen Gesprächen
durchleuchten zu lassen.
Timke: Forderungen dieser Art sind populistische
Schnellschüsse aus den Reihen einer Partei, die seit Jahren den
deutschen Innenminister stellt und durch falsche Prioritätensetzung und
krasse Fehlentscheidungen maßgeblich zur derzeit schwierigen
Sicherheitslage in Deutschland beigetragen hat! Fakt ist: Niemand kann
in die Köpfe von Terroristen schauen, die sich auf persönliche Gespräche
mit Vertretern von Sicherheitsdiensten natürlich vorbereiten und sie
täuschen können. Außerdem fehlt auch für diese Maßnahme schlicht das
erforderliche Personal.
Anstatt den Menschen mit solchen Vorschlägen Sand in die Augen zu
streuen, müssen in Deutschland endlich konsequente Maßnahmen ergriffen
werden, um der wachsenden Terrorgefahr zu begegnen. Zurzeit gehen die
Sicherheitsbehörden deutschlandweit von etwa 1.100 potentiellen
islamischen Terroristen aus, darunter auch ehemalige IS-Kämpfer, die aus
dem Nahen Osten zurückgekehrt sind. Hinzu kommen ca. 9.000 Salafisten.
Die Angehörigen dieses Personenkreises müssen – wenn immer rechtlich
möglich – aus Deutschland abgeschoben werden. Die Botschaft muß klar
formuliert sein: Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung
unterwandern oder den Terror nach Deutschland bringen will, hat bei uns
nichts zu suchen!
Jan Timke ist für die Bürger in Wut (BIW) seit 2008
Landtagsabgeordneter in Bremen. Zuvor arbeitete er als Polizeibeamter im
BKA und bei der Bundespolizei. Henning Hoffgaard
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