Wer die jubelnden CDU-Mitglieder am Abend der Bundestagswahl gesehen
hat, dem kam unweigerlich Reinhard Mey in den Sinn. „Unsere Verluste
waren noch niemals so gut“, textete der Liedermacher schon vor 27 Jahren
über den „Wahlsonntag“: „‘Unser Sieg’, so bricht es gleich aus einem
andern heraus, ‘sieht nur beim ersten Blick wie eine Katastrophe aus,
vorübergehend sind wir zwar im tiefen Wellental, aber dieser Tiefpunkt
ist wie ein Hoffnungssignal!’“ Wenn einer die gesellschaftlichen
Zustände aktuell und auch prophetisch auf den Punkt bringt, dann der
Musiker aus Berlin. Am 21. Dezember wird er 75 Jahre alt.
Reinhard Mey läßt sich nicht festlegen. Mit Nickelbrille, Bart und
seiner pazifistischen Ader verorteten ihn viele lange Jahre als Linken.
Doch die meisten haben nie wirklich zugehört, was der Mann insgesamt zu
sagen hat. Erschwerend kommt hinzu, daß die Musikredaktionen der
Radiosender vorwiegend die Lieder spielten, die dem grünen Zeitgeist zu
entsprechen schienen.
Mey galt als Reaktionär
Doch nicht nur nach 1968 galt Mey gerade Künstlerkollegen aus dem
Liedermacher-Milieu als „Reaktionär“. Während sie die Parole ausgaben,
„Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment“,
hielt Mey die Familie in Ehren. Viele Lieder drehen sich um das Glück
mit seiner Frau und den drei Kindern. Auch seinen Eltern widmete er
warme Worte: „Wie gut es tut, zu wissen, daß dir jemand Zuflucht gibt,
ganz gleich, was du auch ausgefressen hast“, textete er in „Zeugnistag“.
Gerade die Elterngeneration stand unter Generalverdacht. Eine
Lebenswelt, mit der der Sänger nicht viel anfangen konnte.
Das Familienglück zerbrach 2009, als sein zweiter Sohn Maximilian in
ein Wachkoma fiel. Fünf Jahre später starb er mit nur 32 Jahren. Seine
Trauer hatte Reinhard Mey bereits ein Jahr zuvor in dem melancholischen
Lied „Dann mach’s gut“ verarbeitet. Es gab keine Hoffnung mehr. Seine
einfühlsamen Songs wie „Keine ruhige Minute“, „Menschenjunges“ oder das
großartige „What a lucky man you are“ ergeben keinen Sinn mehr. Er wird
sie nie wieder singen.
Von 68ern distanziert
Von den 68ern, denen seine Familienromantik zuwider war, hat er sich
damals distanziert und tut es bis heute. Er stellt die Revolte in einen
Zusammenhang von „neuem Unrecht und Zerstörung“. Weil er „nicht
bedingungslos hurra und ja zu allem, was Umsturz war, gesagt hat“, galt
er als verdächtig. Und als er dann noch seine Persiflage auf den
Feminismus, „Annabelle, ach Annabelle“, vortrug, war Schluß mit lustig.
Während sich seine Fans vor Lachen auf die Schenkel klopften, löste er
Empörung in der Szene aus.
„Hexenjagd in Chanson-Form“ unterstellte ihm das Buch „Liedermacher“.
Die „bösartige Lächerlichmachung einer Minderheit“ brachte die
Kritikerszene auf die Palme: Von Annabelle „zum Russen mit dem Messer
zwischen den Zähnen ist es nur ein Schritt“. Die linke Frankfurter Rundschau
nannte seine Lieder den „gleichen Kohl, die gleichen beschränkten
Variationen über ein Standardsortiment musikalischer Muster“. Selbst die
Welt schimpfte ihn einen „nichtssagenden Schnurrenerzähler“,
einen „Fluchthelfer der Umweltverdrossenen“ und einen „Heintje für
geistig Höhergestellte“. Verstöße gegen die politische Korrektheit
verjähren nie. Noch zu seinem 70. Geburtstag verunglimpfte ihn die taz als „Säuselbarden“.
Mey nahm vieles aufs Korn, was angesagt war
Spott ist etwas, das die Linken für sich gepachtet geglaubt hatten,
doch nun kam ein erfolgreicher Kollege und ließ die Menschen über
Emanzen lachen: „Und zum Zeichen deiner Emanzipation beginnt bei dir der
Bartwuchs schon.“
Vieles, was als angesagt galt, nahm Mey aufs Korn. Das moderne
Regietheater vernichtete er in der Satire „Zwei Hühner auf dem Weg nach
vorgestern“. Den Regisseur verhöhnt er als „Meister des irrealen
Parasymbolismus“. Und: „Übrigens, der Held ist selbstverständlich
nackt.“ Herrlich Meys Fortführung: „Und wie das Leben nun mal spielt,
trifft er zufällig einen zweiten Nackedei. Die beiden üben laut
Sozialkritik und schlagen Purzelbaum dabei.“ Das Lied endet mit der
Zeile: „Und jeder, der bis dahin folgen kann und der bislang auch noch
nicht pennt, der ist entweder nicht ganz klar im Kopf oder
Theaterkassen-abonnent.“
Bis heute schreibt der gebürtige Berliner unterm Dach seines Hauses
in Berlin-Frohnau Lieder und geht auf Tournee. Seine vergangene Tour mit
30 Konzerten quer durch Deutschland endete am 22. Oktober. Ab Februar
tritt er zehnmal in Österreich auf. Die spitzen, feingeistigen Texte und
seine sympathischen, plaudernden Moderationen zwischen den Liedern sind
noch immer ein Renner. Die Konzertkarten verkaufen sich meist innerhalb
von Stunden restlos. Reinhard Mey bietet den Besuchern ein Stück
Heimat.
Narrenschiff Bundesrepublik
Dabei fühlt er sich selbst „heimatlos“. In dem gleichnamigen Lied
spießt er die Diskrepanz zwischen Bürgern und herrschender Klasse auf:
„Du hängst deine ganze Hoffnung an den letzten ehrlichen Knochen, und
dann siehst du in den Nachrichten, der ist auch bestochen!“ Die Kritik
ist deutlich: „Hab’n sie nicht alle laut und deutlich neulich noch vor
aller Ohren allen Schaden vom Volk abzuwenden geschworen?“ Reinhard Mey
verzweifelt an den Zuständen und nimmt sie persönlich: „Du bist
heimatlos, belogen, betrogen, übern Tisch gezogen, wie von ’nem
schwarzen Loch aufgesogen, heimatlos, abgezockt, trocken gedockt, schwer
geschockt, in die Falle gelockt, und wie ein Schaf an den Hinterbeinen
angepflockt. Ein blödes Gefühl, du findest kein Asyl, du bist nackt und
bloß, heimatlos.“
Für ihn entwickelt sich die politische Bundesrepublik zum
„Narrenschiff“: „Keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten! Der
Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken, und der Maschinist in dumpfe
Lethargie versunken, die Mannschaft lauter meineidige Halunken, der
Funker zu feig’, um SOS zu funken. Klabautermann führt das Narrenschiff –
volle Fahrt voraus und Kurs aufs Riff.“ Das Lied stammt bereits von
1998 – doch es wird, wie Reinhard Mey sagt, „mit jeder Regierung
aktueller“. Und das war noch, bevor die CDU-Anhänger in minutenlange
Ekstase ausbrachen, als sie am 24. September die große Wahlverliererin
Angela Merkel erblickten. JF
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.