Stationen

Sonntag, 10. Dezember 2017

CONTRARIA SVNT COMPLEMENTA

Die Linke kann aufgrund ihrer universalistischen Ideale keinen Schutz vor dem weltweiten Wettbewerb propagieren. Die Local Player, kleine Leute zumeist, wenden sich denen zu, die strengere Grenzen und höhere Hürden für alles Fremde versprechen.

Während sich die Linke in das Dilemma zwischen globaler und nationaler Solidarität verstrickt, verspricht der neue Protektionismus mehr Schutz vor grenzenlos agierendem Kapital, vor endloser Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und vor transnationalen Verbrechen.

Ob als Nationalismus, Ethno-Konfessionalismus oder als Wohlstandsseparatismus – in allen Formen des Protektionismus geht es um die Abkehr von der Globalität und um die Behauptung des Eigenen. Aber sobald die Protektionisten wie nach dem Brexit und der Wahl von Donald Trump selbst Macht erlangt haben, verstricken sie sich ebenfalls in die Dilemmata der Globalisierung.

In den Interdependenzen des globalen Handels wird die Unterscheidung zwischen guten eigenen und bösen fremden Produkten zum Opfer der Grenzenlosigkeit.
Mexikanische Zuliefererbetriebe machen die Endproduktion in den USA erst rentabel: ihre Ausgrenzung wäre weder im Interesse der Produzenten noch dem der Arbeiter und Konsumenten. Statt des utopischen Win-win für alle droht nun die Regression in kriegstreiberische Nullsummenspiele, die die Weltunordnung ins Chaos steigert.

Weder Links noch Rechts finden sich brauchbare Strategien für die Bewältigung der Globalisierung.

Die idealistisch verklärte „Masse“ wird „Pöbel“

Die Linke hat als Ausweg aus dem Solidaritätsdilemma die Flucht aus dem Materialismus in den reinen Idealismus angetreten. Sie nimmt groteske materielle Ungleichheiten in Kauf, wenn nur die Gleichwertigkeit der Geschlechter und Kulturen gegeben ist. Was von der Kritik der politischen Ökonomie und der aufklärerischen Rationalität bleibt, ist Moralisierung: Erst kommt die Moral, und dann erst kommen die Produktions- und Vermögensverhältnisse.
Im Multikulturalismus werden paradoxerweise selbst Kulturen als gleichwertig angesehen, welche die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Abrede stellen. Mit dem interkulturellen Dialog sollen etwaige Widersprüche eingeebnet werden, wobei die Preisgabe der eigenen Leitkultur nicht viel Mühe zu bereiten scheint.

Mit der Verschiebung des Gleichheitsbegriffs in den Bereich der Kulturen errang die Linke die kulturelle Hegemonie bis in konservative Kreise hinein. Dafür zahlten sie allerdings den hohen Preis, radikalliberale Entgrenzungen und neokonservative Interventionen im Namen des ethischen Universalismus mittragen musste. Das Nation Building in Afghanistan wurde für Joschka Fischer zum „Leuchtfeuer der Demokratie“ im Mittleren Osten.

Doch auch die Gleichheit der Kulturen erweist sich als Täuschung. Je stärker der Westen sich im Nahen Osten universalistisch engagierte, desto mehr kochte der religiöse Fundamentalismus hoch. Je mehr wir die Integration vorantreiben, desto stärker erblühen die Nebenkulturen. In der Türkei wurde die Demokratisierung schleichend zur Islamisierung umgewidmet.

Und je offener in Europa die Grenzen gegenüber Flüchtlingen und Migranten wurden, desto mehr wandelte sich die einst idealistisch verklärte „Masse“ in den Augen der Linken zum „Pöbel“. Schuld an deren Verblendung trägt der „Rechtspopulismus“.
Dessen Bekämpfung zum gemeinsamen Nenner aller Linken geworden zu sein scheint.

Doch „populus“ heißt das gleiche wie „demos“, nur auf Latein. Mit Volksbeschimpfung kann man in der Demokratie auf Dauer so wenig reüssieren wie mit Publikumsbeschimpfung im Theater. Die linke Demokratiekritik ähnelt doch schon sehr der konservativen Vernunftskepsis von einst. Diese fordert wiederum die einst gefürchteten Volksbegehren und nähert sich mit ihrer Globalisierungskritik Karl Marx an.

Solange beide Seiten ihren Rollentausch durch Diffamierung der anderen Seite verdrängen, liegt der demokratische Diskurs darnieder.   

Selbst Extremisten sind heute theoriefrei  

Die Entgrenzung der Ideologien hat auch die Extremisten erreicht, bei denen es nicht mehr zur Theorie, sondern nur noch zu Identitäten reicht – sei es als Reichsbürger, als Antifaschist oder als Islamist. Je mickriger ihre verabsolutierten Halb- und Viertelwahrheiten sind, desto mehr flüchten sie sich in den Kult von Aktion und Gewalt.

So blieb es bei den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg unklar, wogegen die Linksextremisten eigentlich demonstrierten: gegen den Globalisierungskritiker Donald Trump oder für den Globalisierungsfreund Xi Jinping, gegen die offenen Grenzen für die deutsche Exportwirtschaft oder für die offenen Grenzen gegenüber Migranten.

Über dem Marodieren im kleinbürgerlichen Wohnviertel wurde die Tragödie eines Weltbildes endgültig zur Farce.
Der linke „Kampf gegen Rechts“ füllt zwar nicht die Köpfe, aber die Herzen aus. Er verdeckt vor allem den Blick auf den neuen Totalitarismus, der heute in religiösen Gewändern daherkommt, welcher Rechts- und Linksextremismus in sich vereint, indem er Einheit und Gleichheit zugleich in Aussicht stellt und auch noch das Jenseits im Angebot führt. Linke und rechte Demokraten müssten bemerken, dass eine totalitäre Herausforderung von Säkularismus und gesellschaftlicher Ausdifferenzierung bedrohlicher ist als der „Nebenwiderspruch“ zwischen liberaler und autoritärer Demokratie. Was nottäte, wäre, ein Bündnis für die Zivilisation zu schmieden.  

Wer nicht links ist, ist böse

Wer nicht links ist, gilt heute nicht mehr nur als „rechts“, sondern als „böse“. Diese Moralisierung der Politik grenzt selbst gemäßigte Konservative aus dem Diskurs aus. Schlechtere Voraussetzungen für die demokratische Suche nach neuen Wegen sind kaum vorstellbar.

Solange jeder nur eine Erklärung für die Malaise bestimmter Globalisierungsprozesse zulässt, kommen wir in der Analyse nicht weiter. Protektionisten geben dem entgrenzten Wettbewerb, Liberale der mangelnden Selbstverantwortung und Konservative dem Werteverfall die Alleinschuld. Mit differenzierenden Einsichten, etwa dass in den USA zu viel Anpassung an die Weltmärkte, in Frankreich aber eher zu wenig gefordert wurde, oder dass entgrenzte Finanzspekulationen oben und grenzenloser Konsum unten sich entsprechen, könnten sich Linke und Rechte, Liberale und Konservative gegenseitig ergänzen.
Mit Emmanuel Macron hat immerhin ein Politiker eine nachideologische Politik zum Markenzeichen seiner Bewegung erhoben. Macron will linke und rechte Elemente so  zusammenpuzzeln, dass daraus etwas Neues erwächst. Doch wenn sich die alten Ideologien nicht bewegen, wird dieses Sowohl-als-auch im Weder-noch enden.

Die Dialektik von Freiheit und Ordnung erfordert sowohl offene Märkte als auch kontrollierbare Staatsgrenzen. Die Globalisierung braucht statt mehr Deregulierung mehr Ordnungs- und Strukturpolitik. Linke Hilfe und liberale Selbsthilfe, humanistisches Fördern und konservatives Fordern, durchlässige und kontrollierte Grenzen, die Synthesen liegen jenseits von These und Antithese.

Wer für liberale Frauenrechte kämpft, wird darüber konservativ. Die Bewahrung der Freiheitsrechte ist längst eine ebenso große Aufgabe, wie deren Erringung es war. Mit der Tradition schützt der Konservative noch vorhandene intakte Lebenswelten vor deren Ökonomisierung. Das „rechte“ Engagement für das Eigene könnte auch als eine Form von Kommunitarismus gewürdigt werden.

Der linke Humanismus bewährt sich wiederum in zivilgesellschaftlichen Prozessen. Indem Linke und Rechte ihre Ergänzungsbedürftigkeit erkennen, werden sie auch ihre Ergänzungsfähigkeit entdecken.
Heinz Theisen ist Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln. Dieser Beitrag erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

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