Stationen

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Brauchtum

Spätestens, seit die damalige Stern-Autorin Laura Himmelreich 2013 enthüllte, der FDP-Politiker Rainer Brüderle habe ihr irgendwann 2012 um Mitternacht an der Bar ein Kompliment zu ihrer Oberweite gemacht, gilt der „Stern“ als Fachblatt für den Kampf gegen Sexismus. Im Zuge der #MeeToo-Kampagne, die anzügliche Bemerkungen, Auf-den-Po-Starren und körperliche Übergriffe zu einem Cocktail zusammenrührt, fühlte sich auch der Stern in seiner Kernkompetenz herausgefordert.
Das Hamburger Blatt produzierte die Titelgeschichte „Sexismus im Job? Kenne ich!“(Heft 46/17) – und verkaufte davon im Zeitschriftenhandel 141 582 Stück. Damit erreichte die Illustrierte den Negativrekord in seiner langen Geschichte: noch nie verkaufte sich ein Stern derartig schlecht. An diesem Fall wurde besonders augenfällig, dass die Themen der Redakteure offenbar andere sind als die der eigenen Leser. Von der generellen Präferenz in der außermedialen Gesellschaft einmal ganz abgesehen. Wo die liegen könnte, darauf gibt die Veröffentlichung eines Gesprächs auf faz.net zwischen der französischen Autorin Elisabeth Badinter und der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer über muslimische Juden- und Frauenverachtung einen Hinweis. Das Stück unter dem Titel „In Cafés sitzen keine Frauen mehr“ setzte sich am 12. Dezember in allen drei Leserkategorien „meistgeteilt“, „meistgelesen“ und „meistempfohlen“ an die Spitze, und hielt sich lange dort.
Die Fachzeitschrift „Die Polizei“ kommt in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit nicht an die FAZ heran. Aber möglicherweise findet der Artikel zweier Expertinnen in der neuesten Ausgabe doch einen Leserkreis, der weit über ihr normales Publikum hinausgeht. In dem Text beschäftigen sich die Potsdamer Notärztin Almut Meyer und die Mühlheimer Kriminologin Dorothee Dienstbühl mit der grotesken medialen Aufblähung eines schalen Politikerwitzes oder eines Kompliments – wie im Fall der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Das, so die Autorinnen, trage nichts zur gesellschaftlichen Debatte bei, aber viel zur Hysterisierung. Es verhöhne vor allem die Opfer tatsächlicher sexueller Übergriffe.
„Es ist kein sexueller Übergriff, wenn ein einzelner Mann einer einzelnen Frau ein einfaches Kompliment macht“, schreiben Meyer und Dienstbühl. „Es ist kein Akt eines übergriffigen Sexismus, wenn ein Mann einer Politikerin das Kompliment macht, sie sei hübsch – auch wenn sie danach noch so aufgebracht darüber twittern mag. In solchen Situationen ist jede Frau handlungsfähig. Nichts geschieht gegen ihren Willen und häufig noch nicht einmal in böser Absicht. Es ergeben sich daraus keine Situationen, die angsteinflößend sind.“
Zurück zum Stern: Wer seine Leser mit Kampagnenjournalismus belästigt, muss offenbar mit der Reaktion rechnen: #Mit mir nicht.  AW am  13. 12. 17

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