Wenn sich ein Gesunder zu einem Kranken ins Bett legt, wird der
Kranke nicht gesund, sondern der Gesunde krank“, wußte Franz Josef
Strauß. Der Satz des CSU-Altmeisters paßt exakt auf die
Gesundheitspolitik in Deutschland, in der sich – vorausgesetzt es kommt
wieder zu einer Koalition zwischen Union und SPD – schwerwiegende
Veränderungen abzeichnen.
Dann könnte es dazu kommen, daß die noch relativ gesunde Private
Krankenversicherung (PKV) in der kränkelnden Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) aufgehen wird. Das würde das Ende des
Wettbewerbs durch eine Einheitsversicherung mit schlechteren Leistungen,
höheren Kosten und dem Ersatz des freiberuflichen Arztes durch
Polikliniken mit ständigem Arztwechsel nach DDR-Vorbild bedeuten.
Die Bürger sollten hellhörig werden
De facto würde zudem ein Teil der privaten Versicherungswirtschaft
verstaatlicht. Wenn Politiker das Paradies auf Erden ohne Kassen und
Klassen versprechen, sollten die Bürger hellhörig werden. Und wenn ihre
Bezeichnung darin vorkommt, ist noch größere Vorsicht angesagt. Die
„Bürgerenergie“ ist genau so ein Fall wie die „Bürgerversicherung“.
Politiker von SPD, Grünen und Linken versprechen damit das Ende der
Zwei-Klassen-Medizin, kürzere Wartezeiten in den Praxen und
Krankenhäusern bei sinkenden Beiträgen. Über der Idee der
Bürgerversicherung schwebt das große Leitmotto aller deutschen Linken:
„Mehr Gerechtigkeit“. Im Volksmund gelten solche Ideen eher als
eierlegende Wollmilchsau.
Der Druck auf die SPD-Führung, sich nur dann auf ein neues Bündnis
mit Angela Merkels Union einzulassen, wenn die CDU die bisher bei ihr im
Ruf einer häßlichen Kröte stehende Bürgerversicherung schluckt, ist
enorm. Der größte SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen stellte fest, zu
den sozialdemokratischen Kernforderungen gehöre „eine paritätisch
finanzierte Bürgerversicherung“. Wenn bei dieser Gerechtigkeitsfrage
nichts erreicht werde, gebe es „nicht den Hauch einer Chance, daß die
SPD-Mitglieder einem Koalitionsvertrag zustimmen werden“, ergänzte der
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Privatversicherte sind keine homogene Gruppe
Damit sind die roten Leitplanken gesetzt. Zwar gibt es Beschlüsse der
CDU gegen eine Bürgerversicherung. Aber im schnellen Überbordwerfen
ihrer eigenen Grundsätze hat es die CDU bereits zur Meisterschaft
gebracht. Die CSU ist durch den Blüm-Schüler Horst Seehofer in der
Sozialpolitik ohnehin mehr auf Dirigismus als auf private und
wirtschaftliche Freiheit ausgerichtet. Wenn es in Berlin zur Koalition
der Staatsfreunde kommt, wird sie entweder die Bürgerversicherung oder
wichtige Schritte dahin im Regierungsprogramm haben.
Derzeit sind 70 Millionen Deutsche gesetzlich und rund zehn Millionen
privat versichert. Um die kleinere Gruppe, die aber keineswegs homogen
ist, geht es. Etwa 50 Prozent sind Beamte, Richter und Abgeordnete, die
Anspruch auf staatliche Beihilfen bis zu 80 Prozent der Krankheitskosten
haben und sich daher günstig privat versichern können. Sie müssen aber
auch ihre Kinder und nicht berufstätigen Ehepartner privat versichern.
Die andere Hälfte der privat Versicherten besteht aus Studenten, kleinen
Selbständigen sowie Gutverdienern, deren Verdienst über der
Beitragsbemessungsgrenze von 4.350 Euro im Monat liegt und die somit den
Gesetzlichen Kassen entfliehen konnten.
Diese mit zwölf Prozent relativ kleine Gruppe finanziert aber ein
Viertel der Umsätze aller Arztpraxen und leistet ebenfalls einen
überdurchschnittlichen Beitrag zur Finanzierung der Krankenhäuser.
Sobald neue Therapien und Arzneimittel zugelassen werden, sind die
Privaten die ersten, die die Kosten erstatten. Die Gesetzlichen Kassen
werden gezwungen, schnell den Leistungskatalog zu erweitern, weil sie
die Abwanderung guter Beitragszahler fürchten müssen.
Das britische Gesundheitssystem sollte als Mahnung dienen
Dieser Wettbewerb dient allen – bis zum letzten Sozialrentner. Was
passiert, wenn Wettbewerb wegfällt, ist im staatlichen britischen
Gesundheitswesen zu beobachten, wo die staatliche Kassenlage die
Leistungen bestimmt. Die Folge sind lange Wartelisten und
Versorgungsengpässe, während die Wohlhabenden sich bessere Leistungen
kaufen – auch im Ausland.
Grundsätzlich ist die Private Versicherung im Gegensatz zur
Gesetzlichen mit ihrem Umlagesystem auch gegen die massiven
demographischen Risiken gefeit, indem sie Altersrückstellungen bildet.
Dabei wurde allerdings in den vergangenen Jahrzehnten von den
Unternehmen viel Schindluder getrieben, indem sie neue preiswerte
Tarifgruppen für junge Kunden schufen und die Tarifgruppen der älteren
Kunden austrockneten, so daß deren Beiträge ins Uferlose steigen können.
Das hat den Ruf der PKV weitgehend ruiniert. Viele Unternehmen haben
sich wie Ausbeuter aufgeführt, so daß linke Gesellschaftsveränderer
heute leichtes Spiel haben, die Quasi-Verstaatlichung zu fordern. Wie
immer geht es um viel Geld: Die 233 Milliarden Euro Rücklagen der
PKV-Unternehmen sollen in die Bürgerversicherung überführt werden. Dann
kann die größte sozialpolitische Sause des Jahrhunderts beginnen.
„Irren ist menschlich, aber immer irren ist sozialdemokratisch“
Die wird aber nicht lange dauern, weil das System gegen den
demographischen Wandel nicht gesichert ist. Es müßte selbst
Sozialdemokraten dämmern, daß der Staat nie besser wirtschaftet als ein
privatwirtschaftlich organisiertes System. Obwohl sich Franz Josef
Strauß sicher war, daß SPD-Funktionäre gegen jede bessere Erkenntnis
gefeit sind: „Irren ist menschlich, aber immer irren ist
sozialdemokratisch.“ Paul Rosen
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