Stationen

Dienstag, 12. Dezember 2017

FDP

Der Schwur der SPD, angesichts des katastrophalen Wahlergebnisses in die Opposition zu gehen, überlebte den Ausstieg der FDP aus den Sondierungsgesprächen mit Christdemokraten und Grünen nur um 48 Stunden. Dann war selbst dem begriffsstutzigen Parteivorsitzenden Martin Schulz klargeworden, dass Neuwahlen die SPD in neue noch unbekannte Tiefen reißen würden. Der erneute Griff nach der Kanzlerschaft wäre als Wahlkampfaussage lächerlich. Das realistische Wahlziel konnte also nur eine große Koalition sein, diese aber wurde der SPD auch ohne Neuwahl auf dem Silbertablett dargeboten.

Das Neuwahlprojekt erschien vor diesem Hintergrund als frivol. In einer parlamentarischen Demokratie braucht man die Mehrheit im Parlament. Mit dem Fehlen einer solchen Mehrheit war einst die Weimarer Republik in jene Krise gerutscht, die schließlich ihr Ende einleitete. Es wäre der SPD schlecht bekommen, hätte sie mit einer mutwillig herbeigeführten Regierungsunfähigkeit gespielt. So muss sich die SPD, ob es ihr gefällt oder nicht, für weitere vier Jahre erneut dem Würgegriff einer Kanzlerin aussetzen, von der sie immer wieder links überholt wird, wenn es machtpolitisch gerade passt.

Die natürliche Alternative wäre Schwarz-Gelb gewesen. In den 68 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland kamen schwarz-gelbe Koalitionen auf 33 Regierungsjahre. Trotz des großen FDP-Wahlerfolgs wurde diese „klassische“ und weitaus häufigste Koalition verhindert durch die ungewöhnliche Schwäche der CDU/CSU. Ihr fehlen die Stimmen aus dem rechten Spektrum, die nunmehr die AfD auf sich vereint hat.

Hat die FDP einen Inhalt?

Bei der Aussicht auf „Jamaika“ lief den Grünen erkennbar das Wasser im Munde zusammen. Die FDP dagegen hatte gelernt: Schon zweimal kostete sie der unbedachte Drang zur Macht fast die Existenz: 1961 hatte ihr damaliger Chef Erich Mende den Wahlkampf bestritten mit der Forderung, Adenauer müsse als Bundeskanzler abtreten. Am Ende fiel er um und wurde Vizekanzler unter Adenauer. Die FDP galt fortan als „Umfallerpartei“, 1969 wäre sie fast aus dem Bundestag geflogen. Bei der Wahl 2009 drängte FDP-Chef Guido Westerwelle mit solchem Eifer in das Amt des Außenministers, dass er darüber Inhalte vergaß. Die FDP schluckte den überstürzten Atomausstieg und die Zertrümmerung des Maastricht-Vertrages. 2013 fand der Wähler sie entbehrlich, sie scheiterte an der Fünf-Prozent-Klausel.

Nur mit einer Mischung aus Glück und Bravour sowie der Unbekümmertheit seiner relativen Jugend konnte Christian Lindner am 24. September das Geschick der FDP erneut wenden und sie mit 10,7 Prozent in den Bundestag führen. Diesmal, soviel war klar, musste die FDP eher aufs Regieren verzichten, als dass sie auf Inhalte verzichtete. Aber was sind ihre unverzichtbaren Inhalte?

Das kann nur der unveräußerliche und stets gefährdete Kern der liberalen Idee sein: Ein Staat, der durch einen sowohl sparsamen als auch strikten Ordnungsrahmen seine Bürger voreinander schützt und ihnen so gelebte Freiheit ermöglicht, der aber gleichzeitig durch den bewussten Verzicht auf unbedachte Eingriffe die Richtung der Gesellschaft offenhält. Der Staat soll der Regulator des Zusammenlebens freier Individuen sein, aber weder ihr Aufpasser, noch ihre oberste sinngebende Instanz.

Was ist der Kern der grünen Identität?

Der Kern des liberalen Gedankens ist schon durch seinen Abstraktionsgrad gefährdet. Der Mehrheit der Bürger bleibt er unzugänglich, das macht ihn aber nicht weniger wichtig.
Er steht in krassem Gegensatz zum Kern der grünen Identität: Diese möchten einen Staat, der die Gesellschaft auf Ziele zwangsverpflichtet, die im Kern utopisch sind. Immer geht es darum, Buße zu tun für einen falschen Lebenswandel und die Bürger (oder die Unternehmen) durch das staatliche Gängelband auf den „richtigen“ Weg zu zwingen. Stets geht es dabei entweder um den Schutz der Natur oder gleich um das Wohl der Menschheit.
Noch nie hat es einen Grünen interessiert, dass die Hauptursache für eine fortschreitende Naturzerstörung und für den Einwanderungsdruck aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten die ungebremste Bevölkerungsexplosion ist. Die 60 Millionen Kinder, die in diesen Regionen jedes Jahr neu auf die Welt kommen, werden ja wahrlich nicht von Europäern gezeugt.

Aber die industrialisierte Welt soll die Rechnung bezahlen durch irreale Ziele zur CO2-Reduktion und durch das Tolerieren von Masseneinwanderung. Das ist der aktuelle Kern des grünen Denkens, das auch weite Teil der Medien, der CDU und der SPD beherrscht. Quasi durch einen Zangenangriff wird so sowohl die industrielle als auch die kulturelle Basis Deutschlands und ganz Europas existentiell bedroht.
Hier kann striktes und strenges liberales Denken helfen:
Der Ordnungsrahmen einer freien Gesellschaft funktioniert nur mit dem kulturellen Einverständnis seiner Bürger. Die Herrschaft des Gesetzes reicht allein nicht aus. Das erfordert die Pflege und Bewahrung der kulturellen Identität, die aber ohne strikte Kontrolle der Einwanderung und die gezielte Auswahl jener, die kommen dürfen, nicht zu haben ist.

Die weltweite Reduktion der CO2-Produktion kann durch Deutschland nur marginal beeinflusst werden. Deutschland muss sich auf realistische Ziele konzentrieren, am besten durch eine entsprechende finanzielle Belastung der Emissionen, und muss dabei die weltweite Gesamtwirkung im Auge behalten.

Warum ist die CDU eine Qualle?

Die künftige Einwanderungspolitik und die Weiterentwicklung der deutschen Energiewende sind deshalb die entscheidenden Punkte, bei denen liberales und grünes Denken zusammenstoßen. Lindners Stärke lag darin, dass er dieser Kollision nicht auswich, sondern sie zum Bruchpunkt der Sondierungen machte. Angela Merkels Schwäche war, dass sie sich nicht entschiedener auf die Seite der FDP stellte, aber dann hätte sie wohl gegen ihre eigenen Überzeugungen handeln müssen. Ohne diesen Bruch, dessen historische Bedeutung man kaum überschätzen kann, wäre die FDP über kurz oder lang in Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit versunken.
Die CSU ist leider durch Seehofers Verhalten zum Hofhund der CDU geworden. Er kläfft und fletscht die Zähne, aber Frauchen hält ihn fest an der Kette. Hätte er sich losgerissen und wäre der FDP zu Hilfe gekommen, wäre es an den Grünen gewesen, die Sondierungen scheitern zu lassen.
Von der CDU war in diesem Text kaum die Rede, das hat seinben Grund. Unter Angela Merkel hat sie programmatisch aufgehört zu existieren. Ihre Programmatik gleicht einer Qualle, die in der vorherrschenden Meeresströmung gestaltlos dahintreibt und sich von externen Kräften, bzw. von Angela Merkel, kurzfristig in jede nur denkbare Form pressen lässt. Das war anders, als vor 56 Jahren Konrad Adenauer mit Erich Mende rang.  Thilo Sarrazin
Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

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