Stephan Karkowsky: In der Serie "House of Cards", das spielt Kevin Spacey einen bisexuellen US-Präsidenten, der seine Macht durchaus auch mal für Sex missbraucht. Im wahren Leben wird Spacey von mehreren Männern beschuldigt, ein Grapscher zu sein. Netflix stoppte daraufhin die Zusammenarbeit. Noch radikaler macht es da Regisseur Ridley Scott, er lässt Spacey aus seinem neuen, bereits fertigen Film herausschneiden. Die Schriftstellerin und Moderatorin Thea Dorn regt so was auf. Frau Dorn, was genau stört Sie daran?
Thea Dorn: Seit wann ist Kunst eine Benimmschule? Also wenn wir jetzt anfangen wollen, in der Kunst alle die, die – salopp gesagt – Arschlöcher sind, herauszuschneiden, dann fürchte ich, dass es in unseren Bibliotheken, in unseren Museen, in den Kinos wahnsinnig leer wird. Scotland Yard ermittelt gegen Kevin Spacey, ich würde sagen, die sollen jetzt ihre Arbeit machen. Wenn Kevin Spacey tatsächlich jemanden vergewaltigt hat, also tatsächlich rohe Gewalt angewandt hat, um Sex zu erzwingen, dann gehört er dafür verurteilt. Aber ich verstehe von all dem, was ich bisher an Vorwürfen gegen ihn gelesen und gehört habe, ich verstehe überhaupt nicht, was hier passiert.
In meinen Augen hätte eine vernünftige, nicht hysterisch-bigotte Öffentlichkeit sagen müssen … Ich glaube, der erste hieß Anthony Rapp, der diese ganze Lawine ins Rollen gebracht hat, er ist selber Schauspieler. Er ist, glaube ich, mittlerweile in den 40ern oder so, und er war 14, war ein angehender Schauspieler, ein Kinderstar, ein angehender, war eingeladen auf einer Party von Kevin Spacey, der war damals 26, noch kein Superstar. Und dieser Anthony Rapp angeblich, also er geht ohne Eltern alleine als 14-Jähriger auf diese Party. Er wartet, er hockt sich ins Schlafzimmer von Kevin Spacey, angeblich weil ihm langweilig war, guckt Filme, irgendwann kommt Kevin Spacey und wirft sich auf ihn.
Da kann ich doch nur sagen: Kind, wo ist der Punkt? – Und er hat nie behauptet, dass Kevin Spacey ihn vergewaltigt hätte. Er sagt, es ist ihm gelungen, dann abzuhauen.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ich war gerade mal 19, als ich meine erste Hospitanz an der Oper gemacht habe. Natürlich dauerte es noch keine Woche und ich hatte den erheblich älteren Regisseur am Hals.
Karkowsky: Wortwörtlich am Hals?
"In meiner bekloppten Jugendlichkeit fand ich es wahnsinnig schmeichelhaft"
Dorn: Ja, am Hals und mehr. Und dennoch habe ich es natürlich jeden Abend wieder darauf angelegt, nach der Probe, wie das so ist am Theater, noch einen trinken zu gehen, dass ich die Letzte war, die wieder mit ihm alleine übrig blieb, obwohl ich nicht mit ihm ins Bett wollte, aber natürlich in meiner bekloppten Jugendlichkeit es wahnsinnig schmeichelhaft fand, dass dieser berühmte wichtige ältere Regisseur sich für mich offensichtlich auch erotisch interessiert.Karkowsky: Ganz ähnlich äußert sich ja auch Volker Schlöndorff in der "Zeit", der Dustin Hoffmans geschmacklose Witze gegenüber einer Praktikantin auch nicht in einen Topf werfen möchte mit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Harvey Weinstein. Also bei Hoffman war es ja wohl so, er soll der Praktikantin mehrfach an den Po gefasst und Zoten gerissen haben einfach am Filmset. Volker Schlöndorff sagt, nicht nur der 17-Jährigen gegenüber hat er das gemacht, sondern allen gegenüber, und alle konnten drüber lachen.
Aber irgendwas müssen die Filmbosse doch tun, bleiben wir doch mal beim Fall Kevin Spacey. Experten sagen, Spacey gilt mittlerweile als Kassengift, sprich, man hat Angst, dass Leute wegen Spacey nicht ins Kino gehen, deswegen wird er rausgeschnitten. Und die Studios müssen ja auch ihr Personal schützen vor übergriffigen Stars, wenn man den Eindruck hat, am Set herrscht eine Atmosphäre, wo der seine Finger nicht bei sich behält.
Dorn: Als ich jung war, in den 70ern, 80ern, hatten meine Eltern von vornherein ein solides Misstrauen. Also deshalb waren sie strikt dagegen, dass ihre Tochter Sängerin, Künstlerin wird, weil sie fanden, das ist dieses, ich glaube, damals sagte man halbseidene, unseriöse Milieu. Das hat sie keine Sekunde daran gehindert, Bildungsbürger zu sein, ins Theater zu gehen.
Vor 30, 40 Jahren hat man dem Künstler zugestanden, gewissermaßen ein halber Outlaw zu sein. Mittlerweile in unserer eben, wie ich sagen würde, hysterisch-bigott hypermoralisierten Gesellschaft, wo wir angeblich so viel toleranter sind und libertärer, erwarten wir von einem Künstler, dessen Antriebskraft natürlich auch das Abgründige sein muss, die Lust daran, über die Stränge massiv zu schlagen, - das sollen auf einmal alles brave Schwiegersöhne und Benimmlehrer sein? Das ist spießiger und furchtbarer als der Geist der 50er und 60er, wo der Bürger sagte, oh, oh, diese verkommenen Künstler, aber man ließ sie verkommene Künstler sein.
Karkowsky: Da werden Ihnen nun manche Feministinnen vermutlich antworten, auch verbaler Sexismus ist bereits Gewalt gegen Frauen und dass sexuelle Belästigung – so hab ich's auch bei Wikipedia gelesen – ein Mittel zur Machtausübung ist. Also ich dachte immer, es geht um Sex, aber offenbar ist die Definition da doch eine andere.
"Das ist ein neuer Totalitarismus, der da heraufzieht, ein moralischer"
Dorn: Ich halte diese Definition für fatal verkehrt. Ich glaube, dass diese Definition nicht zu einer weiteren Befreiung … Ich halte die Emanzipation für eine der großartigsten Errungenschaften der Menschheit, ich glaube aber, dass diese Idee, man könne Machtverhältnisse oder Kränkungen oder Beleidigungen aus der Welt schaffen, das ist ein neuer Totalitarismus, der da heraufzieht, ein moralischer, und es schürt ja auch eine fürchterliche Paranoia.In so einem System bin ich doch von morgens bis abends nur noch damit beschäftigt zu überlegen, hat mich wer beleidigt, hat mich wer komisch angeguckt, hat mich wer irgendwie genannt, anstatt den Leuten, den Menschen zu sagen: Kinder, das gehört zum Erwachsenwerden, das gehört, um in dieser Welt zu überleben, dass man eine gewisse Abwehrkraft entwickelt. Und wie gesagt, ich wiederhole es noch mal: Vergewaltigung ist ein widerliches, abstoßendes Verbrechen, aber nicht jeder, der mich Mäuschen oder Pussy oder ich weiß nicht was nennt, das ist kein Problem, das muss ich aushalten.
Karkowsky: Nun trat ja heute vor genau einem Jahr ein neues Gesetz zur sexuellen Belästigung in Kraft, so heißt der Paragraf, sexuelle Belästigung, Paragraf 184i StGB. Auch der hat anfangs bei vielen Männern Verunsicherung ausgelöst, auch bei mir, gebe ich zu. Denn da steht wörtlich: Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Da steht eben nicht in den Schritt fassen, an den Po, an den Busen. Nun war dieses Gesetz ja ein Schnellschuss nach der Kölner Silvesternacht, glauben Sie, das muss womöglich noch mal deutlicher machen, wen es eigentlich wirklich bestrafen will?
Dorn: Ich halte es für ein zentrales Problem bei all diesen Debatten, ich glaube nicht, dass man sinnvoll über einen einzigen Fall von sexueller Belästigung reden kann, ohne über den Kontext zu reden. Wenn Sie mir jetzt mitten in diesem Gespräch oder nachher, wenn ich durch den Volkspark heimgehe, mich quasi anfallen und mir wo hin greifen, würde ich auch erst versuchen, mein Bein solide zu platzieren, und dann würde ich um Hilfe schreien.
Wenn ich jetzt aber mit Ihnen bereits zwei Flaschen Wein getrunken habe, es ist morgens halb drei an der Hotelbar und Sie machen das, würde ich vermutlich auch sagen 'Heute mal nicht, lass mal …', aber ich würde doch keinen Skandal draus machen. Also das ist das, was ich an diesen Diskussionen so einfach wirklich tief nicht verstehe, dass man diese ganzen Situationen … und ich meine, wir haben ein Rechtssystem, was dafür da ist, sozusagen den konkreten Fall zu betrachten. Und ich würde auch sagen, natürlich, es gibt Fälle, wo bereits das Angrapschen ein schlimmer Übergriff ist, den ich in keinem Fall will, es gibt aber sehr viele Fälle … und wir wissen, dass die meisten sexuellen Delikte eben nicht die sind, wo einer im Park angegrapscht wird, sondern wo man sich kennt.
Karkowsky: Kevin Spacey im Abseits und Thea Dorn plädiert für mehr Differenzierung in den aktuellen Sexismusdebatten. Frau Dorn, herzlichen Dank für das Gespräch!
Dorn: Gern geschehen. Deutschlandfunk
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