Rückblick bei der ZEIT. Eine ganze Seite widmet
das Hamburger Blatt in seiner Ausgabe vom 4. Dezember den Schurken
unter der Überschrift: „Jahr der Übeltäter. Autoritäre, Sexisten,
Feiglinge: wer empörte uns 2017?“ Die Reihe beginnt mit Donald Trump und
schließt mit Harvey Weinstein ab, nur wenige Deutsche schaffen es auf
die Elfer-Liste: der ehemalige Soldat Franco A. beispielsweise, weil er
„dafür sorgte, dass die Bundeswehr über Rechtsextremismus diskutieren
muss“. Unzureichend ZEIT-geprägte Leser
könnten vielleicht meinen, der Fall Franco A. müsste eher eine Debatte
über die deutsche Migrationspraxis erzwingen, immerhin registrierte das
BAMF Franco A. umstandslos als Syrer, obwohl er kein Wort Arabisch
spricht. Den nächsten Schurken stellt Alexander Gauland. In diesem Fall wütet die Redaktion über die Wahlergebnisse der AfD.
Beim dritten rechte Ziel der ZEIT-Empörung handelt es sich
ausnahmsweise um ein Kollektiv, abgebildet gleich unter dem Konterfei
von Baschar Assad: der ostdeutsche Mann. Als summarische Darstellung
dient der empörten Redaktion ein Füßepaar in weißen Socken und Sandalen.
Was dem Ostmann neben seiner Kleidung vorgeworfen wird, ist
progressiven Westmedienschaffenden so geläufig, dass sie es nicht extra
erwähnen müssen. Der Mann in der Zone ist erstens ein Mann – was schon
schlimm genug ist – und der wählt überdurchschnittlich oft AfD.
Nun
wählt immer irgendeine gesellschaftliche Gruppe etwas über-
beziehungsweise unterdurchschnittlich. Westdeutsche Beschäftigte des
öffentlichen Dienstes und Journalisten beispielsweise die Grünen. In
Bremen, um einmal eine Kleinregion zu nennen, neigen Wähler ebenfalls
stark überdurchschnittlich den Grünen zu. Was Staatschulden,
Schulqualität und öffentliche Sicherheit angeht, gäbe es allerdings mehr
Gründe zu fragen: was ist in Bremen los?, als über Sachsen den Kopf zu
schütteln.
Aber mit politischen und sozialen Erwägungen hält sich
die ZEIT, wie gesagt, gar nicht auf. Ihr genügen weiße Socken in
Sandalen. Wer ein bisschen in der Welt herumgekommen ist, der weiß, dass
beispielsweise auch einige amerikanische Senioren diesen Kleidungsstil
pflegen. Und die Deutschen, die den Look an den spanischen Stränden
populär machten, stammten vor 1989 eher nicht aus Sachsen und Thüringen.
Aber es geht ja nicht um Regionalfolklore. Weiße Socken in Sandalen
sind für progressive Großstadtjournalisten das Erkennungszeichen einer
hässlichen, provinziellen, bildungsfernen und weltunoffenen Subspezies,
im Grunde empört es schon, dass solche Orks das Wahlrecht ausüben
dürfen. Der Vorwurf an ein Drittel der Sachsen besteht also in erster
Linie gar nicht darin, falsch gewählt zu haben. Die Wahl der AfD
bestätigt nur die tiefe kulturelle Verachtung linker Westdeutscher für
Ostbürger. Daher sind auch alle Ostmänner Träger von weißen Socken,
Sandalen und anderer Arschgeweihe, ob sie nun zu dem einen Drittel der
Unsäglichkeitswähler gehören oder nicht. Der ostdeutsche
Weißsandalenmann ist eben nicht im Sinn bunter Vielfalt einfach anders.
Sondern er steht mindestens eine Kulturstufe unter dem ZEIT-Redakteur.
Deshalb ist aus Sicht der Weltläufigen gruppenbezogener Menschenhass
hier nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern aus erzieherischen Gründen
sogar geboten, vor allem dann, wenn es sich um den ostdeutschen
Männerpferch schlechthin handelt, nämlich Sachsen.
Als im Februar
2016 in Bautzen ein Brandanschlag auf ein leerstehendes Hotel verübt
wurde, in dem Asylbewerber untergebracht werden sollten und ein
vorgeblicher Mob um das Feuer tobte, zeigte die Hamburger Morgenpost
eine Deutschlandkarte mit einem braun eingefärbten Sachsen, dazu die
Titelzeile: „Der Schandfleck“. Nun ist bis heute nicht aufgeklärt, ob
der Anschlag ein fremdenfeindliches oder allgemeinkriminelles Motiv
hatte, die Ermittlungen führten nicht weiter.
Und bei dem Mob handelte es sich um drei betrunkene grölende
Jugendliche – eine Gruppe, die zahlenmäßig und auch sonst etwas unter
dem Niveau auf der Kölner Domplatte zu Silvester 2015 lag. Damals
übrigens begannen viele Medien ihre verspätete Berichterstattung mit der
dringenden Warnung vor einem Generalverdacht gegen den arabischen Mann.
Aber zurück zur Ostexegese. Der Stern titelte Ende 2016: „Sachsen, ein Trauerspiel. Ein Report über das dunkelste Bundesland Deutschlands“ . Damit erreichte das bunte Blatt aus Hamburg am Kiosk fast sein Allzeittief.
Was augenfällig macht: die kulturelle Verachtung nach unten und Osten
ist kein Anliegen der Westdeutschen allgemein, auch nicht der Stern-
oder ZEIT-Leser, sondern der Redakteure. Sie treibt ein tiefes
Revanchebedürfnis.
Als Angela Merkel 2015 die Grenzen für obsolet
erklärte und Zuwanderung allein für die Sache der Zuwanderungswilligen,
gab es eine gesellschaftliche Gruppe, die vor Begeisterung glühte wie
keine andere: linke westdeutsche Medienmacher. Wobei es sich um eine
ziemliche Tautologie handelt: es gibt ja kaum andere. Und es existierte
ein Pol der Migrationsskepsis, viel größer übrigens als der Pol der
strikten Ablehnung. Der lag vor allem im Osten.
Von der einen
Seite dröhnte die Gewissheit von Leuten, die gerade ihr
Septembererlebnis hatten: Es kommen Ärzte und Ingenieure, die unsere
Renten finanzieren werden, keinesfalls sind Zuwanderer krimineller als
Deutsche, unter ihnen können keine Terroristen sein, denn sie fliehen ja vor dem Terror. Im Herbst 2015 schrieb der SPIEGEL-Redakteur Cordt Schnibben beispielhaft über sich und dieses Milieu:
„Ein
bisschen Kirchentag, ein bisschen Mutbürger, ein bisschen Antifa – die
Freiwilligen um mich herum treibt der Wille, es sich, rechten
Hasspredigern und der Welt zu zeigen. Die Flüchtlinge mobilisieren viele
Deutsche, weil sie sie dazu bringen, ihr Menschenbild und ihren Blick
auf die Welt zu schärfen: Plötzlich stehen die Fußtruppen der
Weltkonflikte auf deutschen Bahnhöfen, die Menschen vom Balkan, die
Afghanen, die Iraker, die Syrer; die Kollateralopfer westlicher
Interventionen suchen Schutz bei denen, die im Namen der Freiheit und
des Wohlstands die Welt neu ordnen wollten.“
Eigentlich, so
der Subtext dieser Zeilen, geht es ihm weniger um die Migranten als um
eine neue linke Hegemonie: endlich stehen alle Guten zusammen und die
Fußtruppen der Kapitalismuskritik in München und Hamburg!
Auf der
anderen, östlichen Seite herrschte aus vielen Gründen Zurückhaltung,
dort rechneten viele mit steigender Kriminalität, mit enormen Kosten.
Dort frohlockte vor allem niemand über eine Fusion von Kirchentag und
Antifa und über die Fußtruppen der Weltkonflikte. Vielleicht deshalb,
weil viele im Osten es schätzen, seit fast einer Generation wieder in
einer vergleichsweise konfliktarmen Umgebung zu leben. Womöglich weigert
sich eine Mehrheit der Ostdeutschen auch, sich schuldig am Elend der
arabischen und afrikanischen Welt zu fühlen.
Heute, zwei Jahre
nach dem September 2015, geht selbst den Manifestschreibern in
westdeutschen Redaktionen auf, wer damals realistischer war: die auch
schon vorher als hoffnungslos rückständig verachteten Ostler in
Landstrichen wo weder Margot Käßmann noch Antifa den Alltag prägen.
Deshalb die neue Verteidigungslinie: ja, mag sein, dass wir uns geirrt haben, dass Asylbewerber leider bei Sexualstraftaten beispielsweise in Bayern neunfach überrepräsentiert sind,
dass es doch Terroristen unter den Ankömmlingen gibt, dass die
Versorgung der Hereingewanderten mittlerweile 30 Milliarden Euro pro
Jahr kostet, fast doppelt so viel wie der Bundesforschungsetat, mag
sein. Aber wir Progressiven repräsentieren gerade in unserem Irrtum die
edlere Menschensorte. Wir wissen, wie gut es tut, sich ein politisch
korrektes Hassobjekt zu suchen, dem man, wie es unter Medienleuten
heißt, den Spiegel vorhält.
Das verhindert nämlich, dass man aus Versehen selbst hineinsieht. Alexander Wendt
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