Herr Steimle, sind Sie ein „Deutschtümler“, wie Ihnen in einer
TV-Talkrunde nahegelegt wurde, weil Sie sich zur deutschen Sprache
bekannt haben?
Uwe Steimle: Gegenfrage: Wissen Sie, was Heimat ist?
Etwa die alte Gaslaterne, die vor meinem Haus steht und die ich abends
anzünde. Das ist schön. Das ist Heimat. Niemand würde mir deshalb
Deutschtümelei vorwerfen. Meine Sprache ist mir ebenso Heimat – ich
wohne in ihr, sie ist wie ein Kokon. Beide Male geht es um Heimat. Doch
bei der Sprache kommen solche Vorwürfe. Warum?
Weil es die „deutsche“ Sprache ist.
Steimle: Die wunderbare Simone Weil sagte einmal:
„Entwurzelung ist die gefährlichste Krankheit der menschlichen
Gesellschaft.“ Ja, Verwurzelung sei das am meisten verkannte Bedürfnis
der menschlichen Seele. Das ist so wunderbar gesagt, daß es wirklich zu
Herzen geht. Aber nur tiefe Wurzeln geben Halt, und dazu zählt die
Sprache. Flachwurzler dagegen fallen schnell um. Und das schöne bei
Erlernen der deutschen Sprache drum in einem Satz: Man kann durch
Sprache zum Gefühl durchdringen!
Früher war Heimat selbstverständlich. Heute aber scheint sie verlorenzugehen.
Steimle: Wir alle merken, daß Heimat heute in Frage
gestellt wird. Aber Kurt Tucholsky hat einmal tröstend gesagt, daß was
auch immer mit diesem Deutschland passieren mag, es doch unsere Heimat
bleibt. Es steht ja geschrieben: „Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst!“ Doch was, wenn du dich selbst nicht liebst? Wie willst du dann
andere lieben? Schon komisch, daß sich diese Frage kaum einer stellt.
Sigmar Gabriel etwa nannte Deniz Yücel einen „deutschen Patrioten“,
obwohl der Deutschland ja bekanntlich gar nicht so mag.
Besser gesagt, er haßt es.
Steimle: Nach Gabriel wäre dann der der beste
Patriot, der Deutschland am wenigsten mag. Ich frage mich manchmal, bin
ich wirklich der einzige, der diese Logik merkwürdig findet?
Warum sagen Politiker so etwas?
Steimle: Fragen Sie Gabriel.
Haben wir – keine Antwort.
Steimle: Tja, der Sachse sagt sich: „Nu, der wird sich schon was gedacht haben.“
Sind Gabriel oder Angela Merkel, die 2013 vor laufender Kamera
ihrem Generalsekretär ein Deutschlandfähnchen weggerissen hat,
vielleicht Zyniker?
Steimle: Das glaube ich nicht. Aber wir leben in
einem Land, in dem die Verteidigungsministerin mehr Kinder hat als
flugfähige Jets oder das nicht in der Lage ist, seine Grenzen zu
schützen. In so einem Land kann etwas nicht stimmen.
Zum Beispiel?
Steimle: Vor allem fehlt es an Mitgefühl mit den
„schon länger hier Lebenden“, wie Frau Merkel sagt, um das Wort Volk zu
vermeiden, weil das ja „Nazi“ ist. Ich dachte lange, Demokratie heißt,
daß die Regierung für das Volk da ist. Irrtum. Jene, die mit der
Regierung nicht einverstanden sind, sind wahlweise „Rechte“, „Nazis“,
„rechte Nazis“ – oder sie kommen eben aus Dresden.
Die Sachsen gelten als einziger deutscher Stamm, der sich ein wenig „persönlich“ mit der Kanzlerin angelegt hat. Warum?
Steimle: Wer hat 1989 die Revolution gemacht? Der
Sachse macht eben ’s Maul auf – das finde ich wunderbar! Die Sachsen
sind halt „Protestanten“. Wir Sachsen sind vielleicht die letzten
Deutschen überhaupt, denn wir haben uns nie vorschreiben lassen, wie wir
zu denken haben. Wir waren schon immer freie Geister. Und vielleicht
schieben sie uns ja deshalb gerne in eine bestimmte Ecke, weil sie
fürchten, wir könnten wieder loslaufen. Diesmal gleich bis Berlin. Zeit
wäre es.
Sie meinen Pegida?
Steimle: Nein, ich meine das Volk. Sehen Sie, die
Grundfrage der Philosophie lautet doch: Ist die Welt zu erkennen? Und
uns wird einfach gesagt: Nein!
Wer sagt das?
Steimle: Na etwa Frau Merkel, laut der die Welt
immer komplizierter wird – überhaupt alles viel komplizierter ist, als
wir glauben und somit für uns eigentlich unverständlich ist, weshalb wir
niemandem vertrauen sollten außer ihr, die alles für uns schon richtig
regelt. Das nenne ich Entmündigung. Und dann unsere Medien – glauben Sie
zum Beispiel bitte nicht, wir hätten einen staatsfernen Rundfunk! Wobei
man für diese Erkenntnis ja nicht einmal, wie ich, Inneneinblick haben
muß. Inzwischen weiß jeder, daß etwa Atlantikbrücke-Mitglied Claus
Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist, zusammen mit seiner
Marionetta Slomka.
Nein, die Wahrheit „lügt“ in der Mitte: Es gibt Leute mit Geld, für
die sind Wandel, Wachstum, Grenzenlosigkeit und globale Perspektiven
gut. Und es gibt Menschen mit weniger Geld, Leute wie du und ich, die
sagen: Nein, mir ist mein Nachbar wichtig, mein Dorf, meine Stadt. Die
nicht um jeden Preis „Wandel“ wollen, sondern Frieden und
Zwischenmenschlichkeit. Deren Widerwille wird natürlich stärker, je mehr
Wandel von oben durchgedrückt wird. Letztlich ist das Besinnen auf das
Nationale eine Antwort auf diesen enthemmten Kapitalismus. Für jemanden,
der Geld hat, ist dieser Kapitalismus die reinste Demokratie. Für
jemanden, der kein Geld hat, ist diese Demokratie der reinste
Kapitalismus.
Wieso Kapitalismus?
Steimle: Der ist die Ursache: Früher hieß die
Globalisierung Imperialismus, und wir wissen, was der für die
Betroffenen bedeutet hat. Deshalb brauchen wir vielleicht eine neue
Gesellschaft.
Was stellen Sie sich vor?
Steimle: Eine Art Kapitalismus mit menschlichem
Antlitz – in dem etwa das Gegeneinanderausspielen aufhört: Linke gegen
Rechte, Ossis gegen Wessis und auch Deutsche gegen Ausländer – auch das
muß aufhören. Ich als Deutscher möchte nicht, daß unsere
Rüstungsindustrie und Regierung Waffen verkaufen, mit denen anderen
Menschen die Heimat weggebombt wird. Daher meine ich auch, per
Volksabstimmung sollte festgelegt werden: Die Kosten für die
Geflüchteten in Deutschland übernimmt die Rüstungsindustrie! Und ich
hätte noch einen Vorschlag: In Deutschland leben eine Million Millionäre
und 122 Milliardäre. Aber auch über eine Million Geflüchtete. Die
sollten für je einen eine Patenschaft übernehmen – also die Geflüchteten
für die Millionäre: Dann wären viele erleichtert!
Und was ist mit der Kanzlerin?
Steimle: Sie hat ja verkündet, wir müßten alle diese
Menschen in ihrer Not aufnehmen. Ja, aber vielleicht hätte sie
verhindern sollen, daß sie überhaupt in Not geraten? Doch dann hätte sie
auf Waffenverkäufe verzichten, Deutschlands finanzielle Uno-Pflichten
einhalten und überhaupt eine andere, nämlich eine eigenständige
Außenpolitik machen müssen. Und deshalb ist ihr moralisches Gerede für
mich nur pure Heuchelei.
Allerdings kommen viele von „Merkels Gästen“ aus Syrien, für dessen Zerstörung sie nicht verantwortlich ist.
Steimle: Meinen Sie? Haben wir gegen die
Machenschaften der USA dort protestiert? Hat Berlin versucht, dem
Einhalt zu gebieten? Im Gegenteil, wir haben sie nicht nur geduldet,
sondern diplomatisch unterstützt. Syrien ist eine traurige Farce à la:
„Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!“ Da wird so lange
gelogen, bis die Lüge uns als Wahrheit erscheint. Ich möchte, daß wir da
nicht mehr mitmachen.
Was stellen Sie sich konkret vor?
Steimle: Ein erster Schritt könnte sein, zu debattieren, daß wir selbst 2018 noch Besatzungsgebiet der USA sind.
Inwiefern das?
Steimle: Zum Beispiel lagern sie zwanzig ihrer Atombomben bei uns.
Das ist die „nukleare Teilhabe“ der Nato.
Steimle: Ach so, na dann ist es ja gut … So wird das verbrämt – ich finde, das ist eine Verlogenheit Sondershausen!
Aber sind wir deshalb gleich „besetzt“?
Steimle: Denken Sie an die Irak-Kriege. Die führte
und führt Amerika vor allem auch vom „Flugzeugträger Deutschland“ aus.
Kriege, die bei uns abgelehnt werden – und trotzdem ist den USA das
problemlos möglich. Wie erklären Sie sich das denn sonst? Und noch eine
Frage: Warum isolieren wir nicht die USA?
Wie meinen Sie das?
Steimle: Müßten wir angesichts dessen, was wir aus
der Geschichte gelernt haben, nicht erklären, daß wir mit diesen
Kriegstreibern nichts mehr zu tun haben wollen? Statt dessen sekundieren
wir ihnen sogar dann, wenn wir ihre Politik ablehnen. Die Wahrheit ist
eben, daß wir keine eigene Politik haben, weil wir ein besetztes Land
sind.
Wenn das so wäre, was wäre dann Kanzlerin Merkel?
Steimle: Eine Marionette.
Geht das nicht zu weit?
Steimle: Nein, die Politiker brauchen uns nur bis zu
dem Tag, an dem wir sie gewählt haben. Von da an aber dienen sie allein
den Interessen von Industrie, Banken, Lobbies und der Mächtigen. Und
das ist es, was viele Leute hier fast in den Wahnsinn treibt. Egal, was
sie wählen, die Politik bleibt die gleiche! Und da die Macht keine
Vernunft hat, hat die Vernunft keine Macht.
Zumindest im Fall AfD sind sich alle einig, daß das mit der „immer gleichen Politik“ nicht stimmt.
Steimle: Wäre die Politik nicht so abgehoben und
würde sie sich an den normalen Leuten statt an den selbsternannten
Sehr-Gutmenschen orientieren und sich um ihre sozialen und emotionalen
Bedürfnisse kümmern, würde sich der Fall AfD von selbst erledigen.
Angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise wohl kaum.
Steimle: Wir müssen begreifen, daß die, die da
kommen, ebenso Opfer sind wie wir. Denn wir haben ein internationales
System, das erst ihnen die Heimat nimmt und in der Folge dann uns.
Letztlich sitzen wir in einem Boot!
Im März haben Sie allerdings die von der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin
Vera Lengsfeld initiierte „Erklärung 2018“ unterschrieben, die für viel
Aufmerksamkeit gesorgt hat und sich gegen die liberale
„Flüchtlingspolitik“ der Regierung wendet.
Steimle: Ich vertraue Vera Lengsfeld und wollte sie dabei unterstützen, wenn sie auf Mißstände hinweisen will.
Kurz darauf haben Sie Ihre Unterschrift aber zurückgezogen. Warum?
Steimle: Weil ich in dieser Streitfrage gerne
vermitteln würde. Dazu darf man aber nicht in einer bestimmten
politischen Ecke stehen, in der die Unterzeichner wahrgenommen werden.
Ich bin nämlich nicht links, ich bin nicht rechts, ich bin vorn!
Ende Februar wurde Ihnen die Schirmherrschaft der traditionellen
Ökumenischen Friedensdekade entzogen, die jedes Jahr in den zehn Tagen
vor dem Buß- und Bettag stattfindet. Der Vorwurf lautete, Sie ließen
keine klare Distanz zu „rechtspopulistischen“ Positionen erkennen.
Steimle: Erst wenn man anfängt, gegen den Strom zu schwimmen, merkt man eben, wieviel Dreck einem entgegenkommt.
Spielte diese Erfahrung eine Rolle für Ihr Verhalten im Fall der „Erklärung 2018“?
Steimle: Das ging natürlich nicht spurlos an mir
vorbei. Sehen Sie, der Hauptgrund für den Entzug der Schirmherrschaft
war, daß ich ein T-Shirt mit einem Aufdruck der Zeitschrift Compact
getragen habe, auf dem stand „Ami go home“. Wer zu jung ist, um es zu
wissen: Das war eine Losung der Linken und der Friedensbewegung bis
1989. Und da bekomme ich zu hören: Ja, bis 1989 sei das links gewesen –
aber heute sei das …
Was? … Rechts?
Steimle: Sehen Sie, das ist, was ich meine. Was
heute rechts ist, war gestern vielleicht links und umgekehrt. Das zeigt
die Absurdität dieser Aufteilung. Welchen Sinn ergibt sie noch? Daher
sage ich: Wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Steimle! Spaß
beiseite, am Ende hieß es dann, der Hauptgrund sei, daß das Hemd von
Compact war. Aber eben das wollte ich provozieren – das gebe ich zu –,
nämlich zu prüfen: Was zählt heute wirklich, der Inhalt „Ami go home“,
der über jeden Zweifel erhaben ist, oder das Etikett? Das Ergebnis ist
eine Niederlage für unsere Debattenkultur. Es zählt nicht der Inhalt,
also das Argument, sondern das Etikett. Tja, offenbar bin ich politisch
altmodisch. Aber manchmal ist ja, wer nur lange genug altmodisch ist,
irgendwann wieder modern.
Sie bekennen sich dazu, die Linke zu wählen. Warum?
Steimle: Ganz einfach, weil sie die einzige Partei
ist, die sich konsequent für den Frieden einsetzt, und ich träume von
Frieden für alle Menschen auf der Erde.
Nehmen Sie den Konflikt in der Partei wahr?
Steimle: Klar, und ich versuche, realistisch zu denken und neige so eher zur Position von Frau Wagenknecht.
Was ist mit Katja Kipping?
Steimle: Vor wem ich wirklich Angst habe, sind diese
„Bescheidwisser“. Es war der große Fehler der DDR, ihren Bürgern so zu
mißtrauen. Sie glaubte, besser Bescheid zu wissen, was gut für sie ist.
Das ist eine Entwicklung, die ich heute wieder sehe. Nicht nur bei
Angela Merkel, auch etwa bei Katja Kipping. Das sind so Leute, die wohl
auch verurteilen würden, daß ich auch JUNGE FREIHEIT lese. Aber ich
lasse mir die Freude am Denken nicht verbieten, deshalb lese ich Sie,
ebenso wie Junge Welt und andere. Und natürlich rede ich auch
mit jedem, der friedfertig ist. Mit Ihnen, weil Sie mich angerufen
haben, und es würde mich freuen, riefe auch mal die Junge Welt an.
Wie wollen wir denn sonst zum Frieden kommen – wenn wir nicht
miteinander reden? Was würden wir sagen, weigerten sich Trump und
Nordkoreas Kim Jong-un miteinander zu sprechen? Was wäre die Konsequenz?
Vielleicht ein Atomkrieg! Aber wie können wir von diesen etwas
verlangen, zu dem wir selbst nicht bereit sind? Gehen wir ihnen mit
gutem Beispiel voran! Wissen Sie, ein Linker ist für mich jemand, der
für Gerechtigkeit kämpft – und deutsch, das ist für mich Herz, Weite und
Mitgefühl, früher hieß das mal Solidarität. Und an diese Werte, auch
wenn das vielleicht naiv ist, möchte ich einfach glauben.
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