Stationen

Dienstag, 11. Februar 2020

Dachschaden

Aus der Bastelgruppe schreibender Senioren beim Kreuzberger Kinderstürmer meldet sich Micha Brumlik, um kundzutun, dass nach seiner Diagnose "die Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschland, zumal – keineswegs nur – der östlichen Bundesländer, mit einem von Krankheit, dem Erreger AfD, befallenen Organismus gleichzusetzen" sei. "Bisher sind derlei Infektionen nicht tödlich verlaufen, die Vorgänge in Thüringen gaben allerdings Anlass zur Besorgnis". 

Anlass zu Besorgnis gibt erst einmal der Geisteszustand eines Juden, der sich der Nazisprache bedient, aber dafür wäre ein Vertreter der irrenärztlichen Wissenschaft vonnöten, ich als Numismatiker fühle mich hier gänzlich unzuständig. Als nebenberuflicher Victor Klemperer der Zweiten deutschen Republik muss ich's allerdings aufschreiben und für den nächsten Äon festhalten, wie es sich anlässt, wenn fidele Ruhestandshumanisten blankziehen, weil sie auf einmal verstehen, dass sie die Welt, die sie nie verstanden haben, nun erst recht nicht mehr verstehen. 

Man kann Auschwitz nicht ohne Dachschaden hinter sich lassen, weder als Deutscher noch als Jude. Nur gemeinsam ist Heilung möglich. Juden und Deutsche sind zu einer Art siamesischer Zwillinge geworden, die der Dr. Mengele zusammengenäht hat. Trennung ist nur möglich, wenn beide ihren Dachschaden erkennen. Und nur dann kann Versuchungen wie der von Jakob und Esau oder der von Remus und Romolus entgegengetreten werden.

Schade um Marina Weisband, die bei Plasberg live vorführte, wie konditionierte Reflexe auch bei gebildeten, gern dozierenden Jüdinnen zu Kopflosigkeit, zum Schlauberger-Hufeisen-Syndrom und zu paranoider Desorientierung führen kann. Weisband sieht jedes Blatt, das an der deutschen Eiche nicht grün genug ist und übersieht die Gefahren, die im Zedern-Wald auf sie lauern. Diese theatralische Virtuosin des politischen Opportunismus, die als wortgewandte Variante von Angela Merkel gelten darf (und eines Tages deren Nachfolgerin werden könnte - uomo avvisato mezzo salvato, Gefahr gekannt, Gefahr gebannt) hat es tatsächlich geschafft, Lindner als rassistischen Schildbürger zu bezeichnen.

„Es geht nicht nur darum, dass die FDP sich hier hat wählen lassen von der AfD“, erklärt sie, „sondern dass sie teilweise – und gerade Herr Lindner hat sich dessen ein paar Mal schuldig gemacht – ihre Geschichten erzählt. Dass sie erzählt: ‚Ich kann beim Bäcker ja gar nicht mehr wissen, wer rechtmäßig hier ist und wer nicht.‘ Das sind nicht die Worte eines großen Liberalen, das sind die Worte eines rassistischen Schildbürgers!“

Die rassistischen, antideutschen Schildbürger sind einzig und allein Figuren wie Marina Weisband und Claudia Roth, die nicht einmal die Ohren spitzen, wenn Karl Lagerfeld - der 2013 noch liebevolle Zeichnungen zu Ehren Angela Merkels in der FAZ veröffentlichte! - mit einem einzigen Satz den Stand der Dinge beschreibt und wieder Verhältnismäßigkeit herstellt. Übrigens, in der FAZ sind mittlerweile nur noch Lagerfelds boshafte Anti-Merkel-Karikaturen zu finden. In unserer Zeit findet Zensur nämlich sehr subtil, mit chirurgischer Präzision statt: Algorithmen sorgen nicht immer für völliges Verschwinden eines Mems, sondern für bedingte Abrufbarkeit, die nicht einmal der Zensierte (oder gerade er nicht) bemerkt.

Das deutschsprachige Fernsehen ist mittlerweile - mit Servus.TV als einziger Ausnahme - durchweg zum Kotzen. Nicht nur das öffentlich-rechtliche, sondern auch das private erstaunlicher Weise (wiederum mit Servus.TV als rühmlicher Ausnahme). Wie konnte es passieren, dass in Deutschland privatwirtschaftliche Unternehmen aufhören, dem staatlichen Einheitsbrei Intelligenz, Einfallsreichtum und die viel beschworene Kreativität entgegenzusetzen?

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