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Samstag, 8. Februar 2020

So kanns gehen

Nach heftigen Debatten rang sich die Partei zu dem Entschluss durch, auf keiner Ebene mit der neu aufgekommenen populistischen Konkurrenz zusammenzuarbeiten, einer Truppe, an deren demokratischer Substanz viele aus guten Gründen zweifelten. Nicht in den großen Parlamenten, noch nicht einmal in den Gemeinden sollte es irgendeine Art von Kooperation mit dieser politischen Kraft geben. Eine Koalition schon gar nicht. Der Kernsatz der Parteientschließung lautete: “Eine Zusammenarbeit mit ihr kommt für uns nicht in Frage.” Vor allem die Person an der Parteispitze erzwang diese Entscheidung. Sie erklärte die unberührbare Rivalin zum „Hauptfeind“.
Dann fand eine Landtagswahl in einem ostdeutschen Bundesland statt, das aus Sicht der Hauptstadt und ihrer Parteizentralen bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielte. Schon kurz nach Schließung der Stimmlokale sah jeder, dass es keine sogenannten klaren Mehrheitsverhältnisse gab. Der Spitzenkandidat der Partei, die gerade das umfassende Kooperationsverbot beschlossen hatte, konnte nach dem Stimmergebnis Regierungschef des Landes werden – aber eben nur mit Hilfe der Paria-Partei.
Statt diese Konstellation abzulehnen, machte er sich umgehend an die Arbeit, um das eigentlich ausgeschlossene Bündnis trotz aller gegenteiligen Versicherungen zustande zu bringen. Das gelang ihm auch. Er wurde Ministerpräsident, veränderte die politische Landschaft in ganz Deutschland; für die Führungskraft an der Spitze der Bundespartei, die ihn von diesem Schritt abhalten wollte, bedeutete dieser Umbruch das Scheitern bei der nächsten Bundestagswahl noch im gleichen Jahr.
Die Geschichte spielte sich 1994 ab, das kleine ostdeutsche Land mit der großen Wirkung hieß Sachsen-Anhalt, die Paria-Truppe PDS. Der Provinzpolitiker, der gegen den Willen seines Parteichefs die politischen Spielregeln änderte, war Reinhard Höppner, der die „Dresdner Erklärung“ vom Frühjahr 1994 ignorierte, das SPD-Papier zum Verbot jeder Kooperation mit der umbenannten SED. Und die Führungsfigur, welche das Manöver seinerzeit die Aussicht auf die Kanzlerschaft und dann den Parteivorsitz kostete, hieß Rudolf Scharping.
Das Argument in den meisten Medien wie in der SPD lautete 1994, es sei undemokratisch und auf Dauer auch unmöglich, eine von einem Fünftel der Bevölkerung gewählte Partei auszugrenzen. Es gab noch eine staatspolitische Begründung; die PDS – obwohl sie noch viereinhalb Jahre vorher diktatorisch unter anderem Namen geherrscht hatte – müsse ins parlamentarische Geschäft gezogen werden, um sie zu entradikalisieren. Das sei auch ein Weg, um die ostdeutsche Gesellschaft zu befrieden. Gerade die toxische Vergangenheit der PDS begründete also aus Sicht von Höppner, von vielen SPD-Politikern und von journalistischen Begleitkommentatoren die Notwendigkeit, sie von dem Bann zu befreien.
Damals, 1994, saßen noch ehemalige Zuarbeiter der Staatssicherheit auf vielen Parteipositionen, in der zweiten und dritten Reihe frühere Funktionäre und Offiziere der Staatsicherheit. Der letzte Todesschuss an der Berliner Mauer, der am 5. Februar 1989 den damals 19-jährigen Chris Gueffroy getroffen hatte, lag gerade erst fünf Jahre zurück. Vor diese historische Last setzten die Befürworter einer Zusammenarbeit mit der PDS ein Vorzeichen, das die Last in einen Grund umkehrte: eben wegen dieser Vergangenheit, lautete also die Parole. Natürlich auch wegen einer grundsätzlichen Sympathie.
„Gysis Kritik am Westen ist brillant vorgetragen, und sie sitzt, genauso die Art, wie er den Osten verteidigt“, schrieb die Zeit 1994 kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Wenige sahen das anders, ohne den Lauf der Dinge dadurch zu ändern. Die SPD werfe sich „aus blankem Opportunismus der PDS an den Hals“, fand eine ostdeutsche CDU-Politikerin – die damalige Vize-Parteivorsitzende Angela Merkel.   Wendt

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