Mittwoch, 19. Februar 2020
Sie streicheln uns solange, bis wir tot sind
Gerade wurde beschlossen, wer unter den kanzleramtsnahen Journalisten Deutschlands zu den 10 effizientesten Opinion Makers gezählt werden darf. Es wurde natürlich begründet und wie es begründet wurde, ist hier nachzulesen.
Es klingt haargenau wie der einstige DDR-Sprech, den ich zum ersten Mal in Italien erlebt habe, als eine von der damals noch existierenden KPI eingeladene DDR-Delegation nach Florenz gekommen war, um eine Ausstellung über Dresden zu gestalten. Da wurde Propagandamaterial ausgelegt: Bücher mit Titeln wie "La RDT si presenta" - "Die DDR stellt sich vor", in denen im Frage-und-Antwort-Verfahren, so ähnlich wie heute die FAQ, alle möglichen Themen abgehandelt wurden. Ich habe diese Bücher aufgehoben, weil die darin enthaltenen Verdrehungen so grotesk sind (und es so offensichtlich ist, dass es sich um Verdrehungen handelt, weil ständig mit unglaubwürdigen Begriffen wie "Republikflucht" operiert wird), dass zu befürchten war, dass diese Bücher eines Tages durch schwerer durchschaubare abgelöst werden könnten und ich diese unglaublichen, unfreiwilligen Selbstentlarvungen als historische Belegstücke bewahren wollte.
Immerhin erfuhr ich damals zum ersten Mal in meinem Leben auch vom Elbsandsteingebirge, das man auf großen Bildertafeln bewundern konnte, und ärgerte mich, dass meine einstigen Mitschüler zuhause in Deutschland, nicht einmal durch stern-Reportagen davon erfuhren, dass es im Osten so schöne Landschaften gibt (denn das hätte ja als revanchistische Vaterlandsliebe und nationalistischer Revanchismus oder gar Revisionismus ausgelegt werden können) und darüber, dass ich nur dank KPI an diese Information gelangt war. Dass Dresden durch einen Feuersturm völlig zerstört worden war, erfuhr ich bei dieser Ausstellung ebenfalls zum ersten Mal in meinem Leben. Auch hierzu waren große Bildertafeln aufgestellt worden.
Dass Dresden in Deutschland als "Elbflorenz" bezeichnet wird, erfuhr ich erst Jahre später. Die Aussteller setzten dieses Wissen irrtümlicherweise voraus. Aber Florenz hat fast doppelt soviele Partnerstädte wie Dresden, und die meisten Florentiner wissen gar nicht, dass Dresden darunter ist, geschweige denn, dass Dresden sich rühmt, das Florenz an der Elbe zu sein, so wie Lecce sich rühmt, dass Florenz des Südens zu sein. Solche huldigenden Metaphern nehmen Florentiner eher spöttisch als geschmeichelt zur Kenntnis, normalerweise empfinden sie sie als Anmaßung, über die man nur verärgert den Kopf schüttelt, wie über jede anbiedernde, unselbständige Selbstbeweihräucherung. Besser kommt es an, wenn Apulier Florenz großzügig als Lecce des Nordens apostrophieren.
Es ist ja auch lächerlich, dass so viele deutsche Landschaften als "Schweiz" bezeichnet werden, sobald sie ein bisschen reizvoll sind.
Außer mir und meiner Verlobten war kaum jemand zu sehen, der sich für diese Ausstellung mit kostenlosem Eintritt interessierte. Entsprechend gelangweilt und missmutig schaute das Dresdner Personal. Aber für mich war diese Ausstellung eine echte Wegmarke. Zum ersten Mal in meinem Leben öffnete sich mir - jenseits der Propaganda - ein kleines Fenster ins östliche Deutschland und mich erfasste Sehnsucht nach dem schönen Gebirge, von dem ich völlig verblüfft zum ersten Mal Bilder sah. Aber es war keine großartige Ausstellung. Dresden war nur der Aufhänger, um für ein Gesellschaftssystem zu werben ("auferstanden aus Ruinen" kann man von Dresden ja wahrlich sagen). Das einzige, was mir als anerkennenswerte Leistung auffiel, war eine Krabbelecke für Kleinkinder, wo Mütter ihr Kind hätten abgeben können, wenn sie Lust gehabt hätten, eine kostenlose Ausstellung zu sehen, die einzig und allein für mich interessant war.
Es ist ein Glück, dass Linke selbst dann bei ihrer Propaganda pfuschen, wenn sie ein Pfund haben, mit dem sie wuchern könnten. Ich habe mich immer gewundert, dass die russophile Linke nie damit geprahlt hat, dass die Sowjets Vietnam nie bombardierten, sondern defensive Technologie zur Verfügung stellten. Merke: die Stärke der linken Propaganda ist immer nur eine Schwäche der Rechten. Die meckern gern.
Ich besaß auch die Veröffentlichungen der BRD ("La RFT si presenta"), die man sich beim Konsulat mitnehmen durfte und die ich eifrig las, weil ich mir endlich mal ein Bild meines Teils von Deutschland machen wollte und während 9 Jahren Schulzeit nie an verlässliche oder gar interessante Informationen gekommen war. Die Bonner Republik war nicht auf Heimatliebe eingestellt, obwohl jedes Kind (wie auch jeder Erwachsener) selbstverständlich nicht nur die Region liebt, in der er aufgewachsen ist, sondern auch sein Land. Dass diese spontane selbstverständliche Liebe in böser Absicht für unlautere Zwecke missbraucht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Diese Unterscheidung traf der ansonsten recht verständige Gustav Heinemann leider nicht, und als man ihn fragte, ob er sein Land liebe, antwortete er flapsig, er liebe seine Frau. Solche dummen Sprüche darf ein Bundespräsident nicht machen.
In geographischer, geologischer, naturräumlicher, soziologischer, allgemeingeschichtlicher und besonders kulturgeschichtlicher Hinsicht befand ich mich lange Zeit im Zustand totaler Demenz, da nach 1968 (und vor 1989) die Heimatkunde außer in Sendungen des Bayerischen Rundfunks wie "Unter unserem Himmel" kaum eine Rolle spielte und die Bayern schon im Nachbarland Baden-Württemberg belächelt wurden und nur die Sympathie wecken konnten, die man Tanzbären entgegenbringt.
Diese BRD-Präsentationsbücher enthielten viel Wissenswertes, wenngleich die nüchtern gemeinte Darstellung der Bonner Republik viel zu blutlos daherkam: Belanglosigkeiten wie Neuschwanstein und der Stuttgarter Fernsehturm wurden erwähnt, aber einen vernünftigen kulturgeschichtlichen Abriss gab es nicht. Der Kölner Dom war mit einem Photo vertreten, aber ohne Angaben zur Baugeschichte und ohne kulturanthropologische Einordnung. Diese BRD-Propaganda (darum handelte es sich zweifellos, denn man protzte mit Zahlen über Industrieproduktion und Sozialleistungen) war immerhin etwas, aber es war die typische Eindimensionalität und Seelenlosigkeit, von der wir immer noch nicht ganz geheilt sind und die unserem Land das Flair einer Drehscheibe-Sendung verleiht.
Erst als ich eines Tages an eine italienische Veröffentlichung gelangte, die der Zeitschrift "L'Espresso" beigefügt war, weil die Friedens- und Hausbesetzerbewegung ein gewisses Interesse für Deutschlandreisen geweckt hatte, las ich zum ersten Mal in meinem Leben einen anschaulichen, einprägsamen und wirklich interessanten Abriss der Geschichte Deutschlands vom Homo heidelbergensis über die Trichterbecherkultur und die Schnurkeramiker bis zur Bronze- und Eisenzeit und weiter zu Cäsars rechtsrheinischen Stippvisiten, der Völkerwanderung, Carolus Magnus, der Sachsendynastie, Franken, Stauffer, Habsburg, Luther, Bauernkrieg, 30-jähriger, Preußen, II. Reich, Weimar, Auschwitz (und 12 Jahre Fliegenscheiße), Adenauer, Teilung (Mückenscheiße), Ehrhardt, Brandt und Schmidt. Und alles in der richtigen Reihenfolge und Proportion und sogar ohne in jedem zweiten Nebensatz zu unterstreichen, dass die Neanderthaler noch gar keine Deutschen waren! Jenseits der vielen weißen Flecke und weltfremden Klitterungen, die in beiden Teilen Deutschlands vor dem Mauerfall üblich waren.
Und jetzt haben wir im 30 Jahre lang wieder vereinigten Deutschland 10 gesamtdeutschweltfremde an deutscher Genesung verwesende Streiter, die mehrheitlich eine Mischung aus Stalins und Morgenthaus Träumen besingen und am liebsten ganz Europa in einen Zustand versetzen würden, in den es einst versank, nachdem die ordnende Kraft des Römischen Reichs aufgezehrt war, weil das römische Knowhow von den in Massen herbeiströmenden Zuwanderern aus dem Norden nicht in ausreichendem Maße angenommen wurde und fruchtbare, einst bewirtschaftete Landschaften und befestigte Straßen wieder von der Wildnis zurückgeholt und unwegsam gemacht wurden. Echt kress. Aber immer dran denken: die Stärke linker Propaganda fußt immer nur auf einer Schwäche der Rechten.
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