Stationen

Montag, 10. Februar 2020

Mal abgesehen von Dirk Niebel

Hütet euch vor Liberalen,
Die nur reden, die nur prahlen,
Nur mit Worten stets bezahlen,
Aber arm an Taten sind:
Die bald hier-, bald dorthin sehen,
Bald nach rechts, nach links sich drehen
Wie die Fahne vor dem Wind.

Hütet euch vor Liberalen,
Jene blassen, jene fahlen,
Die in Zeitung und Journalen
Philosophisch sich ergehn:
Aber bei des Bettlers Schmerzen
Weisheitsvoll, mit kaltem Herzen
Ungerührt vorübergehn.

Hütet euch vor Liberalen,
Die bei schwelgerischen Mahlen
Bei gefüllten Festpokalen
Turm der Freiheit sich genannt
Und die doch um einen Titel
Zensor werden oder Büttel
Oder gar ein Denunziant.

Robert Eduard Prutz (1848)





Am Samstag kam im Kanzleramt der Koalitionsausschuss zusammen. Diese Zusammenkunft ist verfassungsrechtlich in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Das Gremium stellt an sich schon eine Besonderheit dar: es findet sich nirgends im Grundgesetz und gehört weder richtig zur Exekutive noch zur Legislative, bestimmt aber die Richtlinien der Politik ganz wesentlich mit. Normalerweise klärt der Koalitionsausschuss – ein Gremium, das aus den Vorsitzenden der Parteien, die das Bundeskabinett tragen, besteht – strittige Fragen innerhalb dieser Koalition, die Regierungsprojekte bzw. das Abstimmungsverhalten im Bundestag betreffen. Die Koalitionsausschuss-Sitzung am 8. Februar 2020 wich gleich doppelt bzw. dreifach von dieser Gepflogenheit ab.

Erstens nahm daran – und zwar federführend – Bundeskanzlerin Angela Merkel teil, die formal der CDU nicht vorsitzt, sondern faktisch der Bundesregierung, also einem Organ der Exekutive. Zweitens beschäftigte sich diese Sitzung ausschließlich mit den Angelegenheiten, die das Parlament eines Bundeslandes bzw. die Parlamente und die Parteiverbände anderer Bundesländer betreffen. Teilnehmende waren: die Kanzlerin (zu deren autoritärem Stil Dieter Stein das Nötige hier bemerkt), die beiden Vorsitzenden der SPD (von denen nur Esken ein parlamentarisches Mandat besitzt), die nominelle Vorsitzende der CDU Kramp-Karrenbauer, auf die es schon nicht mehr ankam (und die auch über kein parlamentarisches Mandat verfügt!) und last not least der Vorsitzende der CSU.
Drittens war nach Medienberichten zeitweise noch der Thüringer Linkspartei-Politiker Bodo Ramelow telefonisch zugeschaltet.

Ein nicht verfassungsmäßig bestelltes Gremium hebt also erstens das freie Mandat von Abgeordneten weitgehend auf – nicht nur in Thüringen. Und ein Gremium auf Bundesebene unter Einschluss der Kanzlerin greift tief in die Belange eines Bundeslandes ein, es schiebt also die föderale Ordnung in einem wichtigen Punkt – Herbeiführung von Neuwahlen – kurzerhand beiseite. Das wird zukünftige Historiker irgendwann noch sehr beschäftigen (ausführlicher hier)





Als einen „schrecklichen parlamentarischen Unfall“ hat Dirk Adams, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Thüringer Landtag, die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen bezeichnet. „Völlig unklar“ sei es nun, schreibt die Welt, „wie es in Thüringen weitergeht.“
Das wundert offenbar nur diejenigen, die den Putsch gegen Kemmerich zur demokratischen Notbremse erklären, während er doch in Wahrheit ein Staatstreich zur Aussetzung der verfassungsmäßigen Ordnung ist, was wiederum mehr mit dem historischen Original als mit seiner angeblichen Kopie Björn Höcke zu tun hat.

Begonnen hat die scheinbar schwierige Lage am 27. Oktober 2019, als die Landtagswahl in Thüringen Linke, Grüne und SPD mit 42 von 90 Parlamentssitzen ausstattete und AfD, CDU und FDP mit 48, wovon seitdem nur 26 Sitze als „demokratisch“ erachtet werden – im bürgerlich-rechten Lager ist die AfD mit 22 Sitzen stärkste Kraft. 
Unter normalen Umständen wäre ihr Kandidat zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Man mag von der AfD halten, was man will; das wahre Problem, das die Lage in Thüringen nahezu ausweglos macht, ist die Unterscheidung von legitimen und illegitimen Abgeordnetenstimmen, die weder das Grundgesetz und die Verfassung des Freistaates Thüringen, noch die Idee des Parlamentarismus im allgemeinen kennt.
Es gibt keine im Parlament vertretenen Parteien mit Pariastatus. Es gibt nur verbotene Parteien, die nicht ins Parlament gewählt werden können, zu denen die AfD bekanntlich nicht gehört. Warum eigentlich nicht, wenn die Wahl eines Ministerpräsidenten der FDP mit Stimmen der AfD „unverzeihlich“ ist? Wer die AfD zum Feind der parlamentarischen Demokratie erklärt, möge doch bitte die Frage beantworten, warum alle Parteien außer der AfD seit dem 5. Februar mit ihrem hysterischen Reden und Tun Artikel 70 Absatz 3 der Verfassung des Freistaates Thüringen über die freie und geheime Wahl des Ministerpräsidenten brechen, nur nicht die AfD.
Unsere verfassungsmäßige Ordnung  sieht mit Bedacht nicht vor, daß ein rechtmäßig gewählter Ministerpräsident von einem Bündnis aus Bundeskanzlerin und antifaschistischem Mob zum Rücktritt gezwungen wird. Eine Verfassung ist genau dazu da, einen Konflikt wie den mit der AfD einzuhegen und nicht wegen dieses Konfliktes mit Füßen getreten zu werden.

Das Ungeheuerliche dieses Vorgangs, das auch dann ungeheuerlich bleibt, wenn einem die AfD und insbesondere Björn Höcke aus manch gutem Grunde nicht gefallen, ist die vorsätzlich herbeigeführte Staatskrise, die aufgrund eines einzigen Anfangsfehlers, der Diskriminierung der zweitstärksten Partei im Landtag, mit immer neuen Peinlichkeiten und Pausenclowns überspielt wird, ohne daß auch nur eine einzige maßgebliche Kraft im Lande versuchen würde, das absurde Theater zu beenden.
Will Bodo Ramelow ernsthaft die Wahl ablehnen, falls ihn die AfD zum Ministerpräsidenten wählt? Würde nicht ein Gesetzentwurf, den die AfD ablehnt, nach der jetzt eingeführten Logik in Kraft treten müssen? Woher will der Landtag die Zweidrittelmehrheit für Neuwahlen nehmen, wenn die Stimmen der AfD nicht zählen und die CDU vernünftigerweise dagegen ist?
Und seit wann muß überhaupt das Volk von Thüringen so lange wählen, bis der Kanzlerin und ihrem Juste milieu das Ergebnis passt? Merken die „Altparteien“ nicht, daß sie selbst die Feinde der Demokratie sind, wenn sie sich dem blindwütigen "anti"faschistischen Konsens unterwerfen und wie die Lemminge in den Abgrund stürzen, nur um nicht mit dem Wohlwollen der „falschen“ Seite zu regieren? Seit dem 5. Februar komme ich aus dem Staunen über das Ausmaß der Verblödung in Deutschland nicht mehr heraus. Am meisten aber staune ich darüber, wie selbstverständlich den führenden Kräften in Politik und Medien die Zerstörung der Berliner Republik von der Hand geht.   (frei nach Andreas Lombard)





Und schon wieder Verleumdung und Einschüchterung. Um feindselige Ungerechtigkeiten wie diese aushalten zu können, wenn man nicht einmal wie Trump über wirtschaftliche Macht verfügt und sich nur auf die Wahrheit und den potentiellen Konsens der Wähler stützen kann, muss man mit seinem Gewissen im Reinen sein. Denn nichts ist gefährlicher als mächtige Heuchler zu entlarven, die entschlossen sind, ihre Deutungshoheit mit allen Mitteln zu verteidigen. Und nichts ist schwieriger, als unangenehme Wahrheiten zu vermitteln, wenn die Menschen fest daran glauben wollen, dass es ihnen noch nie so gut ging wie heute und dass sie der Welt deshalb etwas zurückgeben müssen.

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