Eine Woche nach dem
Votum für einen britischen EU-Austritt hat Altkanzler Helmut Kohl vor
einer überhasteten politischen Reaktion gewarnt. Es gelte, einen
vernünftigen Weg im Umgang mit dem Referendum der Briten zu finden,
sagte Kohl der „Bild“-Zeitung. Von EU-Seite jetzt die Türen
zuzuschlagen, wäre ein Riesen-Fehler. Das Wichtigste: Das Land müsse
selbst entscheiden, was es wolle, so Kohl. Bundesjustizminister Heiko
Maas (SPD) forderte nach der Abstimmung eine offensive
Auseinandersetzung mit europafeindlichen Tendenzen.
Vergangenen Donnerstag hatten rund 52
Prozent der britischen Wähler für einen EU-Austritt gestimmt. Die
Regierung in London lässt bislang offen, wann sie das
EU-Austrittsverfahren anschieben will. Mehrere Teilnehmer des Gipfels
der EU-Staats- und Regierungschefs verlangten von Großbritannien, dies
zügig zu tun.
Kohl
sprach sich für eine „Atempause“ Europas aus. Europa müsse einen Schritt
zurückgehen und dann langsam zwei Schritte vorangehen - in einem Tempo,
das mit den Mitgliedstaaten machbar sei. Er plädierte in der Zeitung
erneut dafür, die nationalen und regionalen Eigenständigkeiten und
Identitäten der einzelnen Mitgliedstaaten stärker zu achten und im
Miteinander auch wieder mehr Respekt vor der Geschichte und
Befindlichkeit des anderen zu haben.
Das
Brexit-Votum hat die EU in ihre bislang schwerste Krise gestürzt.
Europas Staats- und Regierungschefs hatten am Mittwoch - ohne
Großbritannien - über erste Weichenstellungen für die Zukunft der Union
beraten. Sie sprachen sich für eine Reform der EU ohne komplizierte
Vertragsänderungen aus. Belgiens Ministerpräsident Charles Michel
forderte: „Eine Gruppe von Ländern, die schneller vorangehen will, muss
die Möglichkeit haben, dies zu tun, ohne von anderen gehindert zu
werden.“
Am 16.
September ist ein weiteres Gipfeltreffen der EU-Chefs geplant - wieder
ohne Großbritannien. Laut Diplomaten wird vom britischen Premier David
Cameron erwartet, spätestens bis dahin Klarheit über den Austrittskurs
seines Landes zu schaffen.
Mit Blick
auf mögliche Dominoeffekte in anderen Mitgliedstaaten sagte Maas der
Deutschen Presse-Agentur: „Der Brexit-Schock kann heilsame Wirkung haben
- mit dem Ergebnis, dass man sich auf ein solches Wagnis eben nicht
einlässt.“ Viele, die sich ähnliche Gedanken gemacht hätten, würden
aufgeschreckt sein. „Jetzt sieht jeder, was so etwas für ein Land wie
Großbritannien bedeutet.“ Das Vereinigte Königreich bröckele. Und
anscheinend gebe es nun keinen Plan für den Umgang mit dem Votum.
In
Großbritannien hatte es Zuspruch für einen EU-Austritt vor allem in
England und Wales gegeben. In Nordirland und vor allem Schottland sprach
sich die Mehrheit hingegen für einen Verbleib in dem Staatenbund aus.
Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon brachte daraufhin eine
Trennung Schottlands von Großbritannien ins Gespräch. FAZ
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