Die
Namen der Vereine klingen genauso, wie es Behörden gern hören: „Agentur
für Beschäftigung und Integration“ sowie „Gesellschaft für Familie und
Gender Mainstreaming“. Wenn der Vorsitzende beider Organisationen dann
noch einen türkischen Namen trägt und Vater eines SPD-Abgeordneten ist,
dann ist die Basis für Vertrauen geschaffen – erst recht, wenn es um
Zuwanderung geht.
In Bremerhaven soll Selim Öztürk genau diese Konstellation für ein
Betrugsmanöver in zweistelliger Millionenhöhe genutzt haben: indem er –
so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – Tausende Südosteuropäer,
vorwiegend türkischsprachige Bulgaren und Griechen, in die Stadt an der
Nordsee geholt und diesen zu beträchtlichen Summen Sozialhilfe verholfen
habe.
Für seinen Sohn, den bremischen Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Cem
Öztürk, hatte der nun Beschuldigte bereits im Landtagswahlkampf 2015
mit Hilfe seiner Vereine massiv Werbung gemacht und den falschen
Anschein erweckt, große Sozialorganisationen wie der Paritätische
Wohlfahrtsverband unterstützten den SPD-Politiker. Die dubiose
Propaganda hatte Erfolg: Özturk holte sein Mandat, ist bis heute
medienpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Gleichzeitig blieb er bis
2015 im Vorstand des Vereins seines Vaters.
Der Betrug funktionierte so: Zuwanderer aus EU-Ländern bekommen
zunächst lediglich Kindergeld, wenn sie nach Deutschland einwandern.
Erst nach sechs Monaten Arbeit sind sie sozialhilfeberechtigt. Öztürks
Vereine stellten Arbeitsbescheinigungen aus, so daß die Migranten sofort
Transferleistungen erhielten. 100 Euro im Monat davon mußten sie an den
Kriminellen abgeben.
Da sich das herumsprach und offenbar auch angeworben wurde, kamen in
kürzester Zeit immer mehr Menschen osteuropäischer Herkunft und
vorwiegend türkischer Sprache nach Bremerhaven, um auf diese kriminelle
Weise Sozialhilfe zu ergaunern. Nach Unterlagen des Jobcenters, die der
JUNGEN FREIHEIT vorliegen, waren es bereits im Februar vergangenen
Jahres „186,4 Prozent mehr als im Februar 2014“. Insgesamt befanden sich
demnach schon vor knapp anderthalb Jahren „1.034 Personen mit
bulgarischer Staatsangehörigkeit im Leistungsbezug“. Und das, obwohl dies den Beamten spanisch vorkam.
So vermerkt der
Geschäftsführer des Jobcenters Bremerhaven, Friedrich-Wilhelm Gruhl, in
einer Zeitleiste, die unserer Redaktion ebenfalls vorliegt, bereits für
April 2014: „Erste Zweifel an der Identität einzelner Bulgaren,
besonders der Kinder.“ Ein paar Monate später wird die Geschichte sehr
auffällig: „Seit Sommer 2014 sind deutliche Strukturen beim verstärkten
Zuzug erkennbar“.
„Firmen besorgen Wohnungen, Arbeitsverträge, füllen Formulare aus und
begleiten bei Behördenbesuchen. Erste Berichte tauchen an
unterschiedlichen Stellen in der Stadt auf, daß Arbeitsverträge,
Rechnungen bei Selbständigkeit und andere Formulare erkauft werden.
Erste Erkenntnisse über mehrfach vermietete Wohnungen und weiße
Kastenwagen, die Männer zu einem sogenannten Arbeitsstrich bringen.“
Doch niemand unternimmt etwas. Im Gegenteil: Da die Behörden munter
Sozialhilfe auszahlen, setzt sich eine regelrechte Lawine in Gang. Der
Geschäftsführer des Jobcenters notiert: „Ab 2015 starker Zuzug in
verfestigt organisierten Strukturen sowohl von türkischen Bulgaren, als
auch erstmals von Griechen, die einer türkisch sprechenden Minderheit
rund um Xanthi angehören.“
Auch als die Verwaltung vor lauter EU-Migranten kaum noch Luft holen
kann, wird keine Anzeige erstattet: Das Jobcenter bespricht sich mit
Zoll und Kripo und „versucht“ nun, auf das Problem „aufmerksam zu
machen“.
Aber: „Ein handfester Ermittlungsgrund wird dabei nicht
gefunden. Auch über den Bereich Steuerfahndung kommt keine Ermittlung
zustande“, schreibt der Beamte resigniert.
So geht die Abzocke weiter. Der Geschäftsführer hält fest:
„Monatelang strömen Zuwanderer so zahlreich ins Jobcenter Bremerhaven,
daß sämtliche Prozesse an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gebracht
werden.“
Trotz dieser massiven Auffälligkeiten passiert immer noch nichts.
Erst am 26. August 2015, also 16 Monate nach den ersten Verdachtsfällen,
erstattet Friedrich-Wilhelm Gruhl Strafanzeige. Und im Februar dieses
Jahres wird es der Behörde dann endgültig zu bunt. Sie streicht immer
mehr Betrügern den laufenden Bezug, fordert Leistungen zurück und
erstattet weitere Strafanzeigen.
Das hat Folgen: Allein im April 2016 verlassen 550 der Südosteuropäer
Bremerhaven genauso schnell wie sie einst gekommen waren. Polizeichef
Harry Götze kommentiert: „Es scheint sich herumzusprechen, daß es jetzt
hier ungemütlicher für sie wird.“ Da ist das soziale Füllhorn allerdings
bereits zwei Jahre über Tausende Betrüger ausgeschüttet worden. Von
Verhaftungen ist bisher keine Rede.
Die Linke in der Bürgerschaft empört sich dann auch darüber, daß die
„Zuwanderer ausgenutzt“, also in Wirklichkeit Opfer und keine Täter
seien. Ihr Sprecher Nelson Janßen nennt die tausendfachen Betrügereien
„Ausbeutung von Billiglöhnern aus Osteuropa“. Wirtschaftssenator Martin
Günthner (SPD) hat sich inzwischen ebenfalls dieses Duktus bemächtigt.
Mittlerweile drängen SPD-Mitglieder den Abgeordneten Öztürk zum
Rücktritt. Bisher vergeblich. Ronald Berthold
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