Mittwoch, 6. Juli 2016
Wohin zeigt der Spieß?
Die Eurokraten wollen an den freiheitsliebenden Briten ein abschreckendes Exempel statuieren. Aber diese haben noch ein Ass im Ärmel.
Es könnte so schön und harmonisch sein: Die Briten treten aus der Europäischen Union aus und schließen mit der EU ein Freihandelsabkommen. Die britische Handelsnation hätte weiterhin den unbegrenzten Zugang zum kontinentaleuropäischen Markt und auch den Deutschen wäre gedient. Nicht umsonst wird die gewagte These, dass Deutschland von der EU profitiere, mit dem wahren Argument begründet, dass dem langjährigen Exportweltmeister an freiem Warenhandel in Europa gelegen sein muss.
Analog zum britischen könnte dann auch den anderen Mitgliedsnationen der EU die Wahl gelassen werden. Jene, die Schulden- und Transferunion, Brüsseler Regelungswut, innereuropäischen Sozialtourismus und Zuteilungen von Armutsimmigranten aus der Dritten Welt wollen, könnten EU-Mitglied bleiben, und jene, die diese sogenannte Vertiefung der Integration ablehnen, könnten austreten und dem Gemeinsamen Binnenmarkt per Freihandelsabkommen erhalten bleiben.
Eine derartige Wahlfreiheit der EU-Mitgliedsstaaten fürchten die Protagonisten von „mehr Integration“ und „mehr Europa“ jedoch wie der Teufel das Weihwasser.
Hier passt das Bild der britischen Brexitbefürworter vom Gefängnis EU und dem EU-Austritt als Knastausbruch. Denn in Gefangenenlagern ist es in der Tat übliche Praxis, den Gefangenen exemplarisch vor Augen zu führen, was mit einem gemacht wird, der es wagt, einen Fluchtversuch zu unternehmen.
Diesen Geist der Abschreckung atmet auch der Lissaboner Vertrag. Will der Austrittswillige nämlich EU-Außenzölle auf seine Waren abwenden, muss er gemäß Vertragsartikel 50 innerhalb von zwei Jahren nach der offiziellen Erklärung seines Austrittswillens neben der Zustimmung des Europäischen Parlaments auch mindestens 72 Prozent der Mitglieder des Europäischen Rates für ein Austrittsabkommen gewinnen, und selbst diese 72 Prozent reichen nur, wenn „die von ihnen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung“ ausmachen.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass auch Austrittsbefürworter in Großbritannien dafür sind, die offizielle Absichtserklärung erst einmal hinauszuzögern. Das hat nichts mit Angst vor der eigenen Courage zu tun. Vielmehr wollen die Briten möglichst das Austrittsabkommen in trockenen Tüchern haben, bevor die Zweijahresfrist anfängt zu laufen. Solange das Vereinigte Königreich seine Austrittsabsicht aus der Europäischen Union nicht offiziell erklärt hat, hat es das Druckmittel in der Hand, deren Arbeit ohne zeitliches Limit sabotieren zu können, bis ihm ein Austrittsabkommen zugestanden wird, das es vor Strafmaßnahmen schützt. EU-Politiker wie Martin Schulz sprechen wutschnaubend von einer Geiselhaft, in die London die EU genommen habe. Notwehr trifft es wohl besser. Manuel Ruoff
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.