Marc Jongen gehört der zerfallenen
baden-württembergischen Landtagsfraktion der AfD nicht an. Aber er ist
Mitglied des Landesvorstands, gehört der Programmkommission der
Bundespartei an und gilt, obwohl er den Begriff nicht mag, als "Parteiphilosoph"der AfD. Es hatte deshalb Gewicht, dass er im Vorfeld der Fraktionsentscheidung in einem scharfen Artikel in der Jungen Freiheit vom 20.
Juni dem Auslöser des Konflikts, Wolfgang Gedeon, vorwarf, er reihe
sich "in die Tradition übelster antisemitischer Hetzliteratur von
Houston Stewart Chamberlain über Alfred Rosenberg bis hin zu Horst
Mahler ein".
Darin zeichnet sich eine mögliche Antwort auf die im Titel von Jongens Artikel gestellte Frage ab: "Nun sag, AfD, wie hast du's mit dem Judentum?"
Der erste Teil der Antwort heißt: Abschied von allen Verschwörungstheorien. Er macht klar, warum sich der Konflikt um Gedeon an dessen Versuch entzündete, die "Protokolle der Weisen von Zion" als authentisch zu rehabilitieren. Die "Protokolle" sind ein berüchtigtes antisemitisches Pamphlet, das erstmals 1903 erschien. Es gibt vor, die geheime Mitschrift eines Treffens von jüdischen Weltverschwörern zu sein. Wenn Jongen die "Protokolle" als "von der seriösen historischen Forschung als Fälschung klassifizierte antisemitische Hetzschrift" bezeichnete, ging es nicht nur um den Befund, sondern auch um die Methode, die Philologie.
Denn für Jongen wie für Götz Kubitschek spielt die Berufung auf die Wissenschaft eine Schlüsselrolle. Wie für Gedeon gehören für sie "Establishment", "System" und "Zivilreligion des Holocaust" zu den Gegnern, die es zu bekämpfen gilt. Aber eben nicht durch Leugnung des Offenkundigen und wissenschaftlich Beglaubigten. Damit kassiert man allein den Beifall derjenigen ein, die im Tabubrechen einen Wert an sich sehen. Die klügere Variante ist, die "Zivilreligion des Holocaust" als Religion zu attackieren, mit der Geste eines Aufklärers, der eine kollektive Neurose und Verblendung kühl analysiert.
Diese Geste passt aber schlecht zur
ressentimentgetriebenen Rhetorik von Wolfgang Gedeon und Björn Höcke.
Beide gefährden das Projekt, das Jongen und Kubitschek eint: die
rhetorische Umstellung von Ressentiment auf Rationalität. Leute wie
Gedeon bewirkten, "dass alles, was sie an teils richtigen politischen
Forderungen in den Mund nehmen, vom Pesthauch der Judenfeindschaft
vergiftet wird".
Die "große Erzählung" muss die von Gedeon aufgewärmte Verschwörungstheorie auch deshalb ausscheiden, weil sie die Rolle der Deutschen in dieser Erzählung gefährdet. Marc Jongens Einsicht, "dass es einer Selbstverkleinerung gleichkommt, sich als Opfer einer verschwörerischen Matrix zu sehen", ist an die Parteiführung der AfD adressiert. Ihr entspricht die Empfehlung, den Holocaust nicht zu verharmlosen, sondern in das deutsche Selbstbild zu integrieren: "Was wäre das für ein armseliges Selbstbild einer Nation, aus dem die bösen Aspekte ausgespart blieben?"
Die "Annahme des Ganzen unserer Geschichte" (Kubitschek) hat einen großen politischen Vorteil, den Jongen klar formuliert: "Ich möchte weiterhin die heuchlerischen politischen Instrumentalisierungen des Holocaust kritisieren können, ich möchte nicht schweigen müssen, wenn unsere Bundeskanzlerin die Torheit begeht, die Verteidigung des Staates Israel zur Staatsräson Deutschlands zu erklären. Wie kann ich das noch glaubhaft tun mit einem Wolfgang Gedeon in der eigenen Partei, der uns kaum verklausuliert erklärt, dass 'die Juden unser Unglück sind'?" Es geht beim Konflikt um Gedeon nicht um den Einzelfall.
Es geht um die Strategie der AfD, um das anvisierte Nebeneinander von Kritik der "Zivilreligion Holocaust" und Anerkennung des Holocaust als historischem Faktum. Lothar Müller
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