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Dienstag, 9. August 2016

Brasilien

Das Sinken von Brasiliens Bruttoinlandsprodukt um knapp 4 Prozent im Jahre 2015 und weitere knapp 6 Prozent bis Mitte 2016 wird mit dem Rückgang der Rohstoffpreise, der endemischen Korruption, der Aufblähung konsumtiver Staatsausgaben sowie mangelnder Sparsamkeit währen der Hochkonjunktur erklärt.

Dilma Rousseff identifiziert die „politische Krise“ (Time, 8.8. 2016), durch ihren unfreiwilligen Rücktritt vom 2. Dezember 2015 als zusätzlichen Treiber der Arbeitslosigkeit von 6,2 Prozent Dezember 2013 auf 11,3 Prozent im Juni 2016. Siehe hier und hier. Auch das Senken der Monatslöhne um 4 Prozent seit Anfang 2015 auf durchschnittlich 1,962 Reais (US-$ 547) kann die Entlassungen kaum stoppen.
Wenn Firmen um ihr Überleben kämpfen, sind korrupte Beamte, instabile Verhältnisse und staatliche Verschwender zwar unerfreulich, aber fürs Geschäft zählen vor allem Innovationen gegenüber der globalen Konkurrenz. Die findet sich vor allem in China. Sein Prokopfeinkommen macht 1980 nur ein Viertel des brasilianischen aus. 2015 hat es den 1:4-Rückstand aufgeholt, obwohl die Lateinamerikaner zwischen 1980 und 2013 ihre Leistung immerhin versechsfachen, 2015 allerdings nur noch um den Faktor 4 über 1980 liegen.
Was macht Peking anders? 

Da es doch nicht durch weniger Korruption nach vorne kommt, muss es wichtigere Faktoren geben. Auskunft darüber gibt etwa das US-Patentamt, das potentielle Neuerungen erbarmungsloser prüft als die Institute anderer Länder. 2002 akzeptiert es 390 chinesische, aber lediglich 112 brasilianische Patente. 2015 steht es 9004:381 für China. 210 Millionen Brasilianer (davon 110 Millionen Erwerbstätige) liegen ungefähr gleichauf mit 4,5 Millionen Neuseeländern (2,5 Millionen Erwerbstätige mit 352 Patenten). Selbst Europas Sorgenkinder – gut 10 Millionen Portugiesen und knapp 11 Millionen Griechen – wachsen mit 12 auf 67 bzw. 22 auf 77 Patente deutlich schneller als die Latinos. Von der Menge her bleibt auch das natürlich vollkommen hoffnungslos.
Als Brasilianer ihre Industrie 1980 optimistisch weiter ausbauen und dafür 2001 mit dem BRIC-Siegel belohnt werden, beginnt China gerade seine ersten Schritte in die Eigentumsökonomie, die permanentes Wachstum benötigt, um die Zinsen aufs Geld zu erwirtschaften.

Doch warum bleibt man in Südamerika in einem mittleren technischen Niveau stecken und ächzt unter einer verrottenden oder von vornherein fehlenden Infrastruktur, während China bei der Hightech angelangt ist?

Weil Brasilien ein solcher Durchbruch in den vergangenen 15 Jahren nicht gelingt und gleichzeitig seine mediokre Industrie niederkonkurriert wird, muss es solange abrutschen, bis es seine Talente um ein Vielfaches vermehrt hat. Doch dafür spricht so gut wie nichts. Unter Schanghais Schülern gibt es bei PISA 2012 unter 1000 Schülern lediglich 38, die in Mathematik ungenügend abschneiden, während 554 mit gut oder sehr gut brillieren. Brasilien hingegen hat unter 1000 Schülern nur 8 (acht!) Mathekönner, aber 671 Abgeschlagene.

Immerhin geben 85 Prozent der Jugendlichen zu Protokoll, in der Schule glücklich zu sein. Da aber auch die Arbeitsplätze für fröhliche Schulabbrecher immer rarer werden, müssen sie sich am Ende den Heerscharen globaler Migranten anschließen. Das gilt auch für die knapp 60 Millionen Einwohner, die Brasilien bis 2050 hinzugewinnen will.
Macht es Sinn, solche allgemein zugänglichen Kompetenzbefunde aus den Analysen herauszuhalten oder können sie dazu beitragen, sogar die Schwierigkeiten viel stärkerer Spieler besser einzuschätzen? Immerhin sollen auch die von den USA zwischen 1990 und 2007 verlorenen Industriearbeitsplätze zu 44 Prozent auf das Konto chinesischer Importe gehen. Unter 1000 PISA-Matheschülern erreichen bei der Weltmacht 88 gut oder sehr gut, aber 258 landen mit Ungenügend im Abseits. Man steht durchaus besser als Brasilien da, aber Schanghai liegt in der Spitze gut sechsmal höher.
Nun mag die Metropole an der Jangtse-Mündung nicht repräsentativ sein. Macao oder Taiwan jedoch erlauben zuverlässige Vergleiche. Dort scheitern 108 (Taiwan: 128) von 1000 Schülern, während 243 (Taiwan: 372) in Mathe glänzen. Auch dagegen bleibt Amerika – unter welcher Regierung auch immer – prekär. Deutschland rangiert mit 177 Gescheiterten bei 175 Erfolgreichen zwischen beiden Lagern in einer kurzzeitig noch passablen mittleren Liga. Hätte man Schweizer Werte – 124 unten, aber 214 oben – könnte man gelassener bleiben. Immerhin liegt man vor Österreich (187 negativ, 143 positiv).
Wie sollte es für Brasilien jemals aufwärtsgehen, wenn selbst die USA wanken? Noch verteidigen dort aschkenasische Überflieger wie Larry Ellison (Oracle), Sergey Brin (Google) oder Mark Zuckerberg (Facebook) den westlichen Technologievorsprung. Doch ohne ihre ostasiatischen Mitarbeiter und, ja, Ehepartner steckten womöglich auch diese Giganten schon in ihrer Spätphase.
Solche Verbindungen bewähren sich auch anderweitig: Als Team USA 2015 die Internationale Mathematik-Olympiade gegen den Dauersieger China gewinnt, stehen – zum Entsetzen weißer Rassisten – drei asiatische und zwei aschkenasische Rechenkünstler im US-Sechserteam. Dessen ungeachtet muss etwa Facebook eine raffinierte Single Platform-Kombination aus Messaging, Videokonferenzen, Kaufabschlüssen, Bezahldiensten etc. bei WeChat abkupfern, um den Anschluss nicht zu verlieren. Von Israels Hightech-Firmen wie Playtika oder Toga Networks holen sich ebenfalls chinesische Unternehmen, was ihnen – noch – als überlegen erscheint.
Gleichwohl bebildern Zhang Xiaolong – der Entwickler von WeChat (2010) – oder seine 20-Millionen-Stadt Guangzhou nur selten hiesige Gazetten. Und wer kennt schon die Namen von Xialolongs einheimischen Wettbewerbern? Doch die jagen den erst 2011 gestarteten Marktführer – Facebook blüht seit 2003 – so rastlos nach vorne, dass der Economist im August darüber spottet, wie „westliche Apps für chinesische Nutzer nur noch hoffnungslos veraltet wirken“.    Gunnar Heinsohn

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