Stationen

Sonntag, 7. August 2016

Neue Debattenkultur




Der sogenannte Schweriner Weg war eine Besonderheit der Landes-, aber auch der Kommunalpolitik in Mecklenburg-Vorpommern. Es ging dabei um den parlamentarischen Umgang mit der NPD, die seit 2006 im Schweriner Landtag sowie in allen sechs Kreistagen und der Bürgerschaft der kreisfreien Stadt Rostock sitzt.
Die anderen Fraktionen hatten sich darauf geeinigt, mit der NPD gar nicht erst die inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen, sondern über Haus- und Geschäftsordnung zu verhindern, dass die rechtsextreme Partei Land- und Kreistage als Bühne nutzt. Schweriner Weg hieß, dass alle Fraktionen konsequent gegen die NPD stimmten, dass zu NPD-Anträgen jeweils nur ein Landtagsmitglied sprach, egal, ob aus den Regierungsfraktionen oder aus der Opposition.
An Veranstaltungen der NPD nahmen die anderen Fraktionen nicht teil. Überdies wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Landtag wegen der NPD enorm verschärft. Und selbst bei der Sitzordnung im Schweriner Plenarsaal wurden die NPD-Landtagsmitglieder etwas separiert. Und was die Fraktionsräume der NPD im Schweriner Schloss betraf, so nutzte die Verwaltung aus, was sonst beklagt wird: dass das Gebäude verwinkelt ist. Auch sah man selten ein Gespräch zwischen einem NPD-Abgeordneten und Mitgliedern der anderen Fraktionen.
Hinter alledem stand die Überzeugung der anderen Fraktionen, dass gegen verfestigte rechtsextreme Ansichten kein vernünftiges Argumentieren hilft. Der Schweriner Weg war nicht unbedingt tauglich, die NPD zu bekämpfen – er hat schließlich nicht verhindert, dass sie vor fünf Jahren den Wiedereinzug in den Landtag schaffte. Es ging vielmehr darum, auch mit einer NPD-Fraktion im Schweriner Schloss (beziehungsweise in den Kreistagen) einen normalen parlamentarischen Alltag zu organisieren und nicht dauerhaft in einer Art Wahlkampfmodus heiß zu laufen. Umstritten war das von Anfang an.
Die Zahl der kritischen Stimmen aber wuchs mit zunehmendem Abstand zum Landtag. In den Schweriner Schlossräumen waren die anderen Fraktionen, aber auch die Landtagsverwaltung froh, dass es eine solche Einigung über den Umgang mit der NPD gab. 2006 zog die rechtsextreme Partei mit sechs Mitgliedern erstmals in den Landtag ein, fünf Jahre später mit fünf. Ob es die Partei bei der Wahl am 4. September noch einmal in den Landtag schafft, ist ungewiss.
Die jüngsten Umfragen sahen die NPD bei vier Prozent. Bei den zurückliegenden Landtagswahlen hatte die NPD jedoch deutlich mehr Stimmen bekommen als ihr in den Umfragen vorhergesagt worden waren. Zudem läuft das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das Mecklenburg-Vorpommern maßgeblich mit angestrengt und vorbereitet hat. Zöge die NPD abermals in den Schweriner Landtag ein und würde womöglich kurz darauf verboten, erlebte die Bundesrepublik eine noch nicht dagewesene, verfassungsrechtlich interessante Situation, um es zurückhaltend zu sagen.
In jedem Fall aber ist es mit dem Schweriner Weg in der nächsten Legislaturperiode vorbei. Denn die Alternative für Deutschland (AfD) hat schon erklärt, diesen Weg nicht mitgehen zu wollen – und praktiziert das längst in den Kommunalvertretungen. Bei der AfD heißt es, sie sehe den Schweriner Weg als „Gesinnungstribunal“, als „Ausgrenzung und Stigmatisierung unbequemer politischer Positionen und Parteien“. Eine inhaltliche und politische Auseinandersetzung widerstrebender politischer Überzeugungen sei der bessere Weg.
Dass die AfD auch in Mecklenburg-Vorpommern mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag einzieht, gilt als gewiss. In Sachsen-Anhalt erreichte die AfD 24 Prozent. Das setzt gleichsam den Maßstab auch für Mecklenburg-Vorpommern – sowohl für die AfD selbst, die in Schwerin sogar stärkste Kraft werden will, als auch für die Gegner, für die 24 Prozent oder mehr unfassbar wären. Zögen sowohl AfD als auch NPD in den Landtag ein, was nicht auszuschließen ist, wäre auch das eine bemerkenswerte Konstellation.
Die Fraktionen von SPD, CDU, Linkspartei sowie – je nach Wahlergebnis – Grünen und FDP müssten sich sowohl mit einer rechtsextremen Partei auseinandersetzen als auch mit einer weiteren Partei, die ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus bislang nicht geklärt hat. Allerdings wäre auch die AfD gezwungen, mit der NPD zurechtzukommen, zumal sie rasch feststellen dürfte, dass mit der NPD im buchstäblichen Sinn im Parlamentsalltag kein Staat zu machen ist.
Nun gab es bei den derzeit (neben der NPD) im Landtag vertretenen Parteien SPD, CDU, Linkspartei und Grünen die Idee, eine Art Schweriner Weg auch im Umgang mit der AfD einzuschlagen. Von den jeweiligen Spitzenkandidaten ist freilich zu hören, dass sie das ablehnen. Sie begründen das damit, dass zum einen zu befürchten steht, die Zahl der Wähler für die AfD könnte viel zu hoch ausfallen, um das durch Ab- oder gar Ausgrenzung einfach zu ignorieren.
Zum anderen sehen alle Spitzenkandidaten es als notwendig an, der AfD politisch entgegenzutreten. Welche Konsequenzen das Ende des Schweriner Weges für den Parlamentsalltag und überhaupt für die politische Auseinandersetzung im Land hat, lässt sich schwer vorhersehen. Eine neue Debattenkultur allerdings dürfte gewiss sein. Das freilich kann dem Schweriner Landtag nur guttun.  Frank Pergande

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