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Sonntag, 4. Dezember 2016

Früher war mehr Lametta!

Viele Dinge entpuppen sich erst im nachhinein zur Deutlichkeit. 2015 warb der Lebensmittelgroßhändler Edeka zu Weihnachten im Fernsehen mit einem sentimentalen Zwei-Minuten-Spot namens „Heimkommen“. Inzwischen haben viele wachsame Konsumenten begriffen: Gemeint war damit „Heim ins Reich kommen“.

Die diesjährige Folgekampagne hat es offenbart. Im aktuellen Werbefilm „Zeitschenken“ sind zwei Autokennzeichen zu sehen, „die gängige Codes der rechtsextremen Szene zeigen“, hat Sabine Bamberger-Stemmann, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg, erkannt. Es handelt sich um die Nummern MU-SS 420 und SO-LL 3849.
Da die Buchstaben SS in Deutschland als Kennzeichen verboten seien, erläutert die „Minderheiten- und Migrationsforscherin“, sei es „nicht vertretbar, das in einem Werbespot zu nutzen“. Daß die Werbeagentur damit auf den Weihnachtsstress der Eltern anspielt („Muss noch dies, muss noch jenes“, sagt der Sprecher im Film), glaubt Frau Bamberger-Stemmann nicht, denn die Ziffer 420 sei eine „in rechten Kreisen auch hierzulande gängige Abkürzung für Hitlers Geburtstag am 20. April“.
Die Zahl 84 wiederum symbolisiere das H und das D, also: „Heil Deutschland“. Sie ist umrahmt von den Ziffern 3 und 9, welche für „Christliche Identität“ stünden. „Dies bedeutet in rechten Kreisen im Umkehrschluß Antisemitismus. Damit ist die Aussage klar.“ Ohnehin vermittle der Spot „eine heile Welt und transportiert Werte, die auch für die Neue Rechte stehen. Die Kinder spielen zum Beispiel eine altmodische Version von ‘Mensch ärgere dich nicht’.“

Wie bei den Nazis bäckt die Mutter Plätzchen, und die biodeutsche Familie geht auf den „Weihnachtsmarkt“, obwohl der doch längst „Winterfestmarkt“ heißt. Im Jahr des Brexit und der Trump-Wahl, in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus versucht Edeka offenkundig mit der Beschwörung einer weißen, christlichen und heterosexuellen Familie bei den Rassisten, den Homophoben, den Islamophoben und den Antisemiten zu punkten.

Anders als die täglichen Einzelfälle in den Polizeiberichten ist der Fall Edeka keiner. Drei Beispiele. 
Anfang November nahm der Deko-Anbieter Butlers ein Knusperhäuschen aus seinem Weihnachtssortiment, dessen Bemalung sensible Kunden an das Hakenkreuz erinnerte. Zuerst hatte der WDR darüber berichtet und gefragt: „Wie kommt das Hakenkreuz auf das rosa Glitzerhaus?“ Rosa! Führers Lieblingsfarbe! Das soll Zufall sein? Vergeblich versuchte sich der Konzern damit herauszureden, daß die Dinger irgendwo in Fernost handbemalt wurden.
Weiter. Unter dem Titel „Gefahr von rechts“ sensibilisierte im September die auflagenstarke Apothekenzeitschrift Baby & Familie die Bevölkerung vor der Unterwanderung der Kindergärten durch Nazifamilien. Es sei allerdings vergleichsweise kompliziert, Nazi-Eltern und Nazi-Kinder zu identifizieren. Aber nicht unmöglich. Die Eltern seien oft „unauffällig, blond, nett und engagiert“.
Kinder rechter Eltern „sind nicht unbedingt anders als Kinder anderer Eltern. Sie fallen manchmal erst nach längerer Zeit auf, zum Beispiel, weil sie sehr still oder sehr gehorsam sind.“ Außerdem lieferten „akkurat geflochtene Zöpfe und lange Röcke“ den ehrenamtlichen Ermittlern sachdienliche Hinweise. Übrigens: Im Edeka-Spot hat das Mädchen blonde Zöpfe!
Man stelle sich vor, zu Zeiten der Hexen- oder Judenverfolgung hätte es schon Hashtags, Apothekenzeitungen und eine im Internet leicht zu findende Reichszentrale für politische Bildung gegeben, wie sehr hätte das die Identifikation von Hexen und Juden und die Konsensvollstreckung erleichtert!

Auch im Land des einstigen Nazi-Verbündeten versuchen extreme Rechte, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Der Vorsitzende der „Barilla“-Gruppe, Guido Barilla, erklärte in einem Interview, die Familie sei in seiner Firma „ein fundamentaler Wert“. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, einen Werbespot mit einer homosexuellen Familie zu produzieren, antwortete er: „Nein, so einen Werbespot würden wir nicht machen. Unsere Familie ist eine traditionelle Familie.“
Nach Boykottaufrufen und massenhaftem Schmäh im Netz („Wo es Homophobie gibt, gibt es Barilla“) servierte Konkurrent Bertolli ein küssendes schwules Paar zur Lasagne, und der Stern kommentierte mit erleichterter Genugtuung: „Den Netznutzern schmeckt die tolerantere Pasta jedenfalls deutlich besser als die Barilla-Bilderbuchwelt mit Mamma, Bambini und Basilikum.“

Hoffnungsfroh harrt das Qualitätsmagazin der fälligen homosexuellen Kebab-Kampagne!
Diese willkürlichen Beispiele mögen hier genügen, denn die Botschaft ist ja klar: Wenn du meinst, dir stünde so etwas wie Heimat zu, obwohl so viele Fliehende unterwegs sind, wenn du glaubst, Weihnachten und Ostern und ein „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel seien Traditionen, die du kulturunsensibel in alle Ewigkeit fortführen darfst, nur weil du Steuern zahlst, wenn du nach einem überkommenen Familienbild lebst und in stereotypen Geschlechterrollen denkst, wenn du keinen Migrationshintergrund hast und keinen Doppelnamen und es im Darkroom nicht wenigstens mal mit einem gleichgeschlechtlichen Nachbarn versucht hast, dann paß auf, was du öffentlich von dir gibst. Paß überhaupt auf, was du von dir gibst. Deine Normalität ist nämlich nicht normal.
Mit anderen Worten: Eine lächerliche Minderheit bläst medienverstärkt die Backen auf und versucht der Mehrheit einzureden, was die wirklichen Probleme seien und daß sie ansonsten das falsche Leben führt. Wer sich darüber aufregt, geht diesen Clowns auf den Leim. Spott ist das mindeste, was man ihnen erwidern kann.   MK am 4. 12. 2016

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