Viele
Dinge entpuppen sich erst im nachhinein zur Deutlichkeit. 2015 warb der
Lebensmittelgroßhändler Edeka zu Weihnachten im Fernsehen mit einem
sentimentalen Zwei-Minuten-Spot namens „Heimkommen“. Inzwischen haben
viele wachsame Konsumenten begriffen: Gemeint war damit „Heim ins Reich
kommen“.
Die diesjährige Folgekampagne hat es offenbart.
Im aktuellen Werbefilm „Zeitschenken“ sind zwei Autokennzeichen zu
sehen, „die gängige Codes der rechtsextremen Szene zeigen“, hat Sabine
Bamberger-Stemmann, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung
in Hamburg, erkannt. Es handelt sich um die Nummern MU-SS 420 und SO-LL
3849.
Da die Buchstaben SS in Deutschland als Kennzeichen verboten seien,
erläutert die „Minderheiten- und Migrationsforscherin“, sei es „nicht
vertretbar, das in einem Werbespot zu nutzen“. Daß die Werbeagentur
damit auf den Weihnachtsstress der Eltern anspielt („Muss noch dies, muss
noch jenes“, sagt der Sprecher im Film), glaubt Frau Bamberger-Stemmann
nicht, denn die Ziffer 420 sei eine „in rechten Kreisen auch
hierzulande gängige Abkürzung für Hitlers Geburtstag am 20. April“.
Die Zahl 84 wiederum symbolisiere das H und das D, also: „Heil
Deutschland“. Sie ist umrahmt von den Ziffern 3 und 9, welche für
„Christliche Identität“ stünden. „Dies bedeutet in rechten Kreisen im
Umkehrschluß Antisemitismus. Damit ist die Aussage klar.“ Ohnehin
vermittle der Spot „eine heile Welt und transportiert Werte, die auch
für die Neue Rechte stehen. Die Kinder spielen zum Beispiel eine
altmodische Version von ‘Mensch ärgere dich nicht’.“
Wie bei den Nazis bäckt die Mutter Plätzchen, und die biodeutsche
Familie geht auf den „Weihnachtsmarkt“, obwohl der doch längst
„Winterfestmarkt“ heißt. Im Jahr des Brexit und der Trump-Wahl, in
Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus versucht Edeka offenkundig mit
der Beschwörung einer weißen, christlichen und heterosexuellen Familie
bei den Rassisten, den Homophoben, den Islamophoben und den Antisemiten
zu punkten.
Anders als die täglichen Einzelfälle in den Polizeiberichten ist der
Fall Edeka keiner. Drei Beispiele.
Anfang November nahm der
Deko-Anbieter Butlers ein Knusperhäuschen aus seinem
Weihnachtssortiment, dessen Bemalung sensible Kunden an das Hakenkreuz
erinnerte. Zuerst hatte der WDR darüber berichtet und gefragt: „Wie
kommt das Hakenkreuz auf das rosa Glitzerhaus?“ Rosa! Führers
Lieblingsfarbe! Das soll Zufall sein? Vergeblich versuchte sich der
Konzern damit herauszureden, daß die Dinger irgendwo in Fernost
handbemalt wurden.
Weiter. Unter dem Titel „Gefahr von rechts“ sensibilisierte im
September die auflagenstarke Apothekenzeitschrift Baby & Familie die
Bevölkerung vor der Unterwanderung der Kindergärten durch Nazifamilien.
Es sei allerdings vergleichsweise kompliziert, Nazi-Eltern und
Nazi-Kinder zu identifizieren. Aber nicht unmöglich. Die Eltern seien
oft „unauffällig, blond, nett und engagiert“.
Kinder rechter Eltern „sind nicht unbedingt anders als Kinder anderer
Eltern. Sie fallen manchmal erst nach längerer Zeit auf, zum Beispiel,
weil sie sehr still oder sehr gehorsam sind.“ Außerdem lieferten
„akkurat geflochtene Zöpfe und lange Röcke“ den ehrenamtlichen
Ermittlern sachdienliche Hinweise. Übrigens: Im Edeka-Spot hat das
Mädchen blonde Zöpfe!
Man stelle sich vor, zu Zeiten der Hexen- oder Judenverfolgung hätte
es schon Hashtags, Apothekenzeitungen und eine im Internet leicht zu
findende Reichszentrale für politische Bildung gegeben, wie sehr hätte
das die Identifikation von Hexen und Juden und die Konsensvollstreckung
erleichtert!
Auch im Land des einstigen Nazi-Verbündeten versuchen extreme Rechte,
das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Der Vorsitzende der
„Barilla“-Gruppe, Guido Barilla, erklärte in einem Interview, die
Familie sei in seiner Firma „ein fundamentaler Wert“. Auf die Frage, ob
er sich vorstellen könne, einen Werbespot mit einer homosexuellen
Familie zu produzieren, antwortete er: „Nein, so einen Werbespot würden
wir nicht machen. Unsere Familie ist eine traditionelle Familie.“
Nach Boykottaufrufen und massenhaftem Schmäh im Netz („Wo es
Homophobie gibt, gibt es Barilla“) servierte Konkurrent Bertolli ein
küssendes schwules Paar zur Lasagne, und der Stern kommentierte
mit erleichterter Genugtuung: „Den Netznutzern schmeckt die tolerantere
Pasta jedenfalls deutlich besser als die Barilla-Bilderbuchwelt mit
Mamma, Bambini und Basilikum.“
Hoffnungsfroh harrt das Qualitätsmagazin
der fälligen homosexuellen Kebab-Kampagne!
Diese willkürlichen Beispiele mögen hier genügen, denn die Botschaft
ist ja klar: Wenn du meinst, dir stünde so etwas wie Heimat zu, obwohl
so viele Fliehende unterwegs sind, wenn du glaubst, Weihnachten und
Ostern und ein „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel seien Traditionen, die
du kulturunsensibel in alle Ewigkeit fortführen darfst, nur weil du
Steuern zahlst, wenn du nach einem überkommenen Familienbild lebst und
in stereotypen Geschlechterrollen denkst, wenn du keinen
Migrationshintergrund hast und keinen Doppelnamen und es im Darkroom
nicht wenigstens mal mit einem gleichgeschlechtlichen Nachbarn versucht
hast, dann paß auf, was du öffentlich von dir gibst. Paß überhaupt auf,
was du von dir gibst. Deine Normalität ist nämlich nicht normal.
Mit anderen Worten: Eine lächerliche Minderheit bläst medienverstärkt
die Backen auf und versucht der Mehrheit einzureden, was die wirklichen
Probleme seien und daß sie ansonsten das falsche Leben führt. Wer sich
darüber aufregt, geht diesen Clowns auf den Leim. Spott ist das
mindeste, was man ihnen erwidern kann. MK am 4. 12. 2016
Zeitschenken
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.