Gibt es Hoffnung auf einen Umschwung in der deutschen Politik?
Wir sind seit gestern Abend in Zagreb, fanden gleich in einen der gesanglich stets schönen katholischen Gottesdienste und spazierten danach durch die kalte Innenstadt, bevor wir in einem Fisch-Restaurant Suppe, Dorsch und gegrillte Sardinen verzehrten. Auf dem Rückweg zur Unterkunft kamen wir an einem Regierungsgebäude vorbei, vor dem rauchend zwei Polizisten Wache standen. Es war das Innenministerium.
Dieses Wort erinnerte mich an die Auseinandersetzung, die seit zwei Tagen um die Einladung und Absage des Theaters Magdeburg geführt wird: Innenminister Stahlknecht und ich auf demselben Podium? Undenkbar für viele.
Im Hotel klappte ich den Rechner auf und sah die Zusammenstellung durch, die mir meine Mitarbeiter zugeschickt hatten. Vor allem aber wollte ich lesen, in welchen Punkten unser Rechtsanwalt letztlich den außer Rand und Band argumentierenden SPD-Landesvorsitzenden Lischka zu einer Unterlassung aufgefordert hatte. Lischka hatte wörtlich geäußert:
Ich bin einigermaßen fassungslos, dass sich Sachsen-Anhalts Innenminister, immerhin Chef des Verfassungsschutzes im Land, mit einem vom Verfassungsschutz beobachteten Rechtsextremisten gemeinsam auf ein Podium setzen will. Kubitschek ist der intellektuelle Kopf der Neuen Rechten, der Spindoctor des rechten Flügels der AfD. Auf seinem Rittergut treffen sich regelmäßig rechte Burschenschaftler, Identitäre, Holocaustleugner und Neonazis. Wer glaubt, man könne solche Leute wie Kubitschek und Co. in einer öffentlichen Diskussion stellen, ist ihnen bereits auf den Leim gegangen. Diesen Rechtsextremen darf man keine Bühne bieten, sie müssen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Daher verbietet sich eine politische Aufwertung, wie sie Innenminister Stahlknecht praktizieren will, von selbst.Es stecken darin entweder zwei Lügen oder aber ein Geheimnisverrat und eine Lüge. Denn weder werde ich vom Verfassungsschutz beobachtet noch treffen sich in Schnellroda Holocaustleugner und Neonazis, weder regelmäßig noch überhaupt.
Gute Nachricht: Die Unterlassungsaufforderungen sind unterwegs, und nun muß Herr Lischka entweder unterschreiben und ein Stängelchen Geld in die Hand nehmen oder aber er muß beweisen, daß er nicht gelogen hat, was im zweiten Punkt nicht möglich ist, im ersten hingegen die Straftat des Geheimnisverrats nach sich zöge: Denn der VS in Sachsen-Anhalt weiß nichts von einer Beobachtung, und der Bundes-VS hat sich – sollte von dort aus beobachtet werden – noch nicht geäußert.
Es ist ja bloß eine Einladung zu einem öffentlichen Disput gewesen, aber seit er abgesagt ist (in der Art, in der diese Absage zustandekam, ein Politikum in der Tat für die Koalition in Magdeburg) dürfen wir wie in einem Lehrbuch die unterschiedlichen Formen des Umgangs mit einem überkochenden Topf studieren:
- Da haben sich ganz viele unwichtige, selbstreferentielle, oftmals staatlich gefütterte Gruppen und Einzelpersonen auf den Deckel gesetzt, um die „braune Suppe“ für nicht-existent zu erklären.
- Da gibt es neben Lischka andere, die alles aufbieten, was ihnen zu Gebote steht, um unsere leckere Mahlzeit, die endlich verteilt werden will, zu einer Giftbrühe für die in sich unentschiedene CDU zu machen.
- Und dann gibt es die ganz Schlauen, die in den schlauen Blättern der Republik den Beweis anzubringen versuchen, es handle sich bei unseren Ingredienzien um abgelaufene Zutaten und bei der Suppe um ein Gebräu, das weder neu, noch zeitgemäß sei, sondern ein Aufguß, den man in Deutschland schon bis zur Neige ausgeschlürft habe.
- Und zuletzt gibt es doch nicht wenige, die den großen Fehler in all diesen Verhinderungsstrategien erkennen und zweierlei wissen: Erstens gilt die Weisheit, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es vom Herd kommt. Zum anderen gilt, wenn etwas überkocht, doch immer noch das chinesische Strategem Nr. 19: „Unter dem Kessel das Brennholz wegziehen.“
Glaubt von den Lischkas, Haseloffs oder Kaubes dieser Welt tatsächlich einer, er müsse vor uns die Verfassung schützen? Was, das wäre meine erste Frage an Innenminister Stahlknecht, ist denn schlimmstenfalls aus „unserer“ Richtung zu erwarten? Die Einhaltung der Gesetze trotz billig zu erntenden hypermoralischen Lorbeers? Die Wertschätzung und Förderung des wirklich produktiven Teils unseres hart arbeitenden Volkes und die Eindämmung der sinnlosen Verschleuderung des nicht vorhandenen Vermögens in Gesellschaftsexperimente? Wirkliche Ökologie, echter Konsumverzicht anstelle dieser verlogenen better-world-Mentalität der Grünen, denen ihr kleines unbeherrschtes Ich stets wichtiger ist als die dringend notwendige Askese? Mehr Achtung vor dem Staat und seinen Staatsdienern, ob in Polizei, Armee, Lehrkörper oder Verwaltung?
Ich wage mal die nicht unbegründete Behauptung, daß mit uns die Selbstbedienungsmentalität ein Ende nähme, und vermutlich hätte Holger Stahlknecht zuvorderst eines festgestellt (und vor allem jener Teil der quasselnden Klasse, der diesen Innenminister nun schurigelt): daß es bei „uns“ einen sehr weit reichenden Respekt vor jenen gibt, die tatsächlich politisch handeln müssen, weil sie politische Verantwortung tragen, und daß wir Theoretiker wissen, wieviel Kompromiss in jeder politischen Entscheidung steckt, daß es also einen Verarbeitungs- und Realisierungsweg gibt zwischen Metapolitik und Politik.
Meine Prognose: Beschädigt aus diesem Tanz werden Haseloff und Lischka gehen, Holger Stahlknecht nicht. Die Lage ist zu ernst, es muß gesprochen werden, und die politische Elite wird ergänzt, wo nicht in teilen ersetzt. Alles läuft ganz normal.
Das müßte vor allem Ministerpräsident Haseloff wissen, der sich nun ziemlich billig geäußert hat. Es ist ein paar Jahre her, da kam er mit einem kleinen Troß an den Stand meines Verlags auf der Leipziger Buchmesse.
Wir plauderten ein wenig, dann griff er zielsicher nach dem bei uns in Neuauflage erschienen Essay Elite. Erziehung für den Ernstfall aus der Feder des konservativen Vordenkers Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Er hatte es früher schon gelesen und freute sich, daß es wieder lieferbar war.
Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich nachsehen, ob Haseloff Kunde meines Verlags ist. Ich glaube schon. GK
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P.S.: Hier ist der Vortrag, den ich in Zagreb hielt
auf deutsch
auf englisch
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