Sonntag, 4. Dezember 2016
Obdachlose vs Immigranten
„Wohnen ist für uns ein Grundrecht“, tönt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linkspartei. Wie viele bezahlbare Wohnungen Berlin benötigt, steht dort nicht. Die enorme Zuwanderung aus fernen Regionen hat die Stadt mit dem Bau zahlreicher neuer Unterkünfte beantwortet. Die neuen Wohnmodule für Immigranten will Berlin jedoch ähnlich wie die Metropole Hamburg nicht für Obdachlose öffnen. Eher bleiben die Container leer, auch wenn die Kosten weiter laufen.
Während der neue linke Senat über Mietbremsen philosophiert und verkündet, Mieten künftig am Einkommen auszurichten, drohen Menschen, die ganz ohne Einkommen sind, auf der Straße zu erfrieren. Dass Berlins in Landesbesitz befindliche Wohnungsfirmen ganze 3000 Sozialwohnungen pro Jahr bauen sollen, wie der Senat bekannt gab, muss wie Hohn für diejenigen klingen, die schon aus dem bestehenden landeseigenen Wohnraum ausgesperrt bleiben.
Eine Kurz-Besetzung des Amano-Hotels durch linke Aktivisten vergangene Woche bildete die Begleitmusik für die neuen sozialen Debatten um Wohnraum. Linke Kritiker des Senats und die neue R2G-Koalition selbst haben ein gemeinsames Feindbild: Investoren und Vermieter – auf sie soll Druck ausgeübt werden, genug günstigen Wohnraum in Bauprojekten einzuplanen und bisherige Bestände Bewohnern günstig anzubieten.
Dabei wirkt Berlins Politik gerade in ihrer scheinbar sozialen Stoßrichtung erheblich an Engpässen mit. Die Metropole ist als Hartz-IV-Hauptstadt bekannt. Die Politik hat mehr in Soziales als in Arbeit investiert. Mit dem absehbaren Bleiberecht für alle Asylsucher und (auch illegale) Zuwanderer, das Berlins Senat jetzt schafft, wird ein nicht mehr zu erfüllender Bedarf an günstigstem Wohnraum ausgelöst. Die Stadt wird zur Großwärmstube für Osteuropa, den Balkan und ungezählte weitere Zuwanderer − auch solche, die sich bislang in anderen Bundesländern aufhalten, und für die der Senat gerade weitere Anreize bereitstellt, an die Spree umzuziehen. Ob sich Berlin damit übernimmt, wird nicht diskutiert.
Die Hauptstadt steuert zudem in Richtung mehr Regulierung. Während in Deutschland politische Ansätze diskutiert werden, wie sich der Anteil der Immobilienbesitzer erhöhen lässt – sei es über steuerliche Förderung wie in der Vergangenheit, eine Eigenheimzulage oder Rabatt bei der Grunderwerbsteuer – steht der Hauptstadt ein erneutes Scheitern auf dem Berliner Sonderweg sozialer Lenkung bevor.
Die Wohnungslosen drohen als erste den Preis dieser Utopie zu zahlen. Ihre Verelendung beschleunigt sich. Im Tiergarten bilden sich regelmäßig wilde Lager, die der zuständige Grünen-Politiker Stephan von Dassel räumen lässt. Von Bedenken oder gar Widerstand seiner Partei wie im Fall des einstigen wilden Zuwandererlagers am Oranienplatz keine Spur. Dieses Mal geht es „nur“ um EU-Bürger ohne Sozialhilfeansprüche. Zwar seien die Zustände „bemitleidenswert“, so von Dassel, dulden dürfe man die Lager aber nicht, „zumal sich neben der Vermüllung die Tötung von dort lebenden Tieren zur Nahrungsbeschaffung häuft“. Es gebe genug Notübernachtungsplätze, behauptet von Dassel.
Tatsächlich kann die seit 1989 bestehende Kältehilfe trotz gestiegener Nachfrage weniger Plätze anbieten als 2015. Da hilft auch nicht der jüngste politische Auftrag, die Plätze auf 1000 zu erhöhen. Seit Anfang November stehen 550 Plätze, mit Beginn des Dezembers 700 bereit. Der Bedarf sei aber höher, so Vertreter der beteiligten Sozialeinrichtungen. Man benötige zudem 25 Euro pro Schlafplatz, die Sozialverwaltung zahle aber nur 17. Es fehle vor allem günstiger Wohnraum, warnen die Helfer. Die Diakonie verzeichnet zudem einen Anstieg bei den „Arbeitsmigranten“, Menschen, die ausgebeutet würden, und die sich keinen Schlafplatz leisten könnten. Die „Flüchtlinge“ hingegen seien im Winter 2015/16 meist erfolgreich an Heime vermittelt worden.
So tritt genau jene soziale Spaltung ein, welche die neue Koalition zu bekämpfen vorgibt. Zwecks Tierschutz und der Beseitigung missliebiger Lager von deutschen Obdachlosen und solchen aus Osteuropa darf geräumt werden. Der Eindruck: Für sie sind Notquartiere nachrangig, für Fern-Zuwanderer dagegen steht dem gegenüber unbürokratisch über Vorschriften hinweg eine lange im Voraus bezahlte Unterkunft bereit. Sverre Gutschmidt
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