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Donnerstag, 1. Dezember 2016

Umerzieher, Inquisitoren und jetzt tatsächlich auch Entmündiger

Ein gestuftes Wahlrecht wäre ziemlich kraß. Denken Sie, mehr oder weniger geneigter Leser, doch sicher auch. Na, dann passen Sie mal auf!


Der Gedanke daran, mit dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht zu spielen, kommt nicht gut an. Das „Netz gegen Nazis“ kreidet der AfD auf diesem Weg »Wohlstandschauvinismus« an. Donald Trumps neuer Chefberater Stephen Bannon soll einmal nur Grundbesitzer für wahlwürdig befunden haben und wird deshalb jetzt angegriffen. Wie irre müßte also jemand sein, der so etwas heute und hierzulande verlangt???

Nun, Kubitschek hat hier bereits gestern von der Clique der »Entmündiger« gesprochen. Wer am vergangenen Dienstag die FAZ aufschlug, wird das Gefühl gehabt haben, unter »Fremde Federn« einem ihrer Gründer zu begegnen: Sandro Gaycken, IT-Sicherheits- und Digitale-Gesellschaft-Spezialist. Seine Satire versteht man erst nach mehrfachem Lesen.


Sandro Gaycken
 

»Das Netz darf keine faule Basis der Demokratie sein«, heißt das Stück. Da steht:
Der Siegeszug der neuen Rechten […] ist […] von einem bezeichnenden Versagen der Aufklärung begleitet. Gerade heute mutet aber genau das doch seltsam an. Wie konnten sich in Zeiten von Wissenschaft, freier Presse, von Partizipation und Information Lüge und Täuschung noch so erfolgreich durchsetzen?
Sie ahnen es schon: Das Internet ist schuld, natürlich. Gaycken wärmt die laue Nassehi-Suppe auf, wonach die Überkomplexität des Alltags die Menschen einschüchtere. Ein Schuß autistisches Gekreisch à la Sascha Lobo ist auch dabei. Zu dumm aber auch, daß sich das Netz nicht zu einem liberalen Spielplatz entwickelt hat!
Eigentlich aber geht es dem Autor um das neue Thema „Fake News“. »PR-Institute und Nachrichtendienste« säen Lügen. Soziale Medien (ver-)formen die Meinung der Leser. Wohlmeinende Printmedien verlieren. Alles wahnsinnig tragisch. Fehlt nur noch die Mär von den russischen Hackern, die in Putins Auftrag westliche Wahlen (oder die Telekom) manipulieren.
Nun aber ans Eingemachte! Gaycken will zum Schutz der Demokratie vor dem »Sumpf aus Scheinwelten« nämlich rabiat werden:
[Man muß] das Falsche und Trügerische lauter und mutiger […] entlarven. Was Nachricht sein will, muß […] als Nachricht ausgewiesen werden. Das muß gesetzlich in sozialen Medien erzwungen werden. Wenn wir politische Aufklärung insgesamt erhalten wollen, müssen wir deren Feinde ins Licht zerren.
Usw. usf. ad nauseam. So weit nichts Neues, das wurde ja schon öfters gefordert. Nun ist der Autor aber ein besonders schlauer Fuchs. Die FAZ versteckt schließlich nicht jedermanns Texte hinter Bezahlschranken. An den Kragen gehen soll es nicht nur den Produzenten, sondern auch den Konsumenten der falschen Nachrichten! Gut festhalten, hier kommt die Satire:
[P]olitische Partizipation [muß] an ein Mindestmaß korrekter Bildung geknüpft werden. […] Wer wählen will, soll politische Kompetenz beweisen. […] Wer aber die Grundlagen seiner eigenen Gesellschaft nicht kennt oder nicht kennen will, darf auch nicht über deren Zukunft entscheiden.
Gaycken schlägt vor, die extrem neutrale Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Zweiseiter(!) zu allen Politikbereichen herausgeben zu lassen. Vor Stimmabgabe soll dann geprüft werden, ob auch alle Bürger brav gelernt haben. Wer sich nicht hinreichend mit der verordneten Realität vertraut gemacht hat, muß unverrichteter Dinge wieder gehen.

Gnosikratie


Nun braucht man gar nicht Schmittismen wie »innerstaatliche Feinderklärung« oder »Rechtlossetzung« zu bemühen. Beim ersten Lesen mag man erschüttert von soviel Vorbürgerkriegsrhetorik sein – aber es ist ja, wie gesagt, nur Satire.
Das kann es nur sein. Denn ein solcher Schlaumeier wie Sandro Gaycken weiß natürlich, wen sein Wahlrecht-Vorschlag treffen würde. Das sind nicht die deutschen „Kartoffeln“, die in ihrer Schulzeit ohnehin ständig mit bpb-Auswurf traktiert werden.
Nein: Wer ganz sicher durch die „wehrhaften“ Multiple-choice-Tests der »korrekten Bildung« fiele, sind unsere „Neubürger“, die sich bis auf wenige Ausnahmen keinen Deut für Thomas Krügers Ergüsse interessieren.
Und mit denen möchte sich selbst der Sicherheitsexperte und Tastaturheld Sandro Gaycken wohl nicht anlegen. Genausowenig wie mit dem Anwurf, ein Fremdenfeind zu sein.   Nils Wegner

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