Stationen

Freitag, 2. Dezember 2016

Kulturgeschichtlicher Wandel

Gemeldet wird der Tod des Verlegers Herbert Fleißner. 88jährig ist der Gründer der Verlage Langen Müller und Herbig am vergangenen Freitag in München gestorben. Fleißner war ein liberaler Verleger (im Sinne der Liberalität), soll heißen: Er verlegte auch ein paar anstößige und rechte Autoren, vor allem zu der Zeit, als er außerdem noch das Haus Ullstein/Propyläen leitete, was die üblichen Gouvernanten mit einer der üblichen Kampagnen ahndeten, bis ihm die letztgenannten Verlage wieder aus der Hand genommen wurden.

Wen das näher interessieren sollte, der mag hier nachlesen; ich erzähle das lediglich, um post mortem aus der Schule zu plaudern, denn ich habe Fleißner auch einmal ein Manuskript angeboten. Es handelte sich um meinen verspäteten Studentenscherz „Welcher Wein zu welcher Frau? Ein Ratgeber“ (ein „politisch unkorrekter Ratgeber“ wurde erst später als eine Art Knicks und prophylaktischem Abwehrzauber daraus). Mein Co-Autor Uli Martin und ich hatten seinerzeit – wir befinden uns im Frühjahr 2001 – dieses vielleicht allzu betont witzige Buch, dessen Nichtmehrlieferbarkeit mir gar nicht so unangenehm ist, in wenigen Tagen heruntergeschrieben und sodann vergeblich versucht, es in einem deutschen Verlag zu platzieren. Überall wurde das Manuskript als angeblich frauenfeindlich abgelehnt. Ich sprach also schließlich Fleißner an, auf dessen Querköpfigkeit vertrauend, und er sicherte mir zu, das Buch zu drucken. Ein paar Tage später rief er mich zerknirscht an und teilte mir mit, er müsse leider von seiner Zusage zurücktreten, er könne den Titel bei den Damen in seinem Verlag einfach nicht durchsetzen. Die feministische bzw. feministisch inspirierte weibliche Abwehrfront stand bolzenfest. Nur ein Schweizer Verlag und in diesem ausgerechnet eine Frau hielten sich am Ende nicht an die Gebote der Mitschwesterlichkeit, sie druckten das Buch, es verkaufte sich vieltausendfach, aber irgendwie schien der Verlag zuletzt ganz froh zu sein, als er es auslaufen lassen und aus dem Programm nehmen konnte. So weit, so trivial.

Warum ich die Geschichte dann erzähle? Nun, lediglich um an die gute alte BRD zu erinnern, als ein halbwegs launiges Traktätlein, in dem Frauen augenzwinkernd der „Kategorie der Genussmittel“ zugeschlagen wurden, kollektive Abwehrmechanismen zum vermeintlichen Schutz des holden Geschlechts vor Sexismus und Diskriminierung auszulösen vermochte. Heute, wo das generöse Hinwegsehen über öffentliche sexuelle Gewalt gegen Frauen, über Zwangsheiraten, Minderjährigen-Ehen und die Vollverpackung von Frauen als Zeichen der Hörigkeit gegenüber ihrem männlichen Besitzer ein integraler Bestanteil der bundesrepublikanischen Willkommensfolklore ist, klingt das wie ein Märchen aus ferner Zeit. Und noch einmal zehn, zwanzig Jahre weiter, dann, wer weiß?, wirkt an dem Titel „Welcher Wein zu welcher Frau?“ nicht mehr die Erhebung der Frau zum Genussobjekt, sondern die Erwähnung des Weines anstößig, denn der ist bekanntlich haram.    MK am 1. 12. 2016

O tempora, o mores!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.