Ein
Islamexperte hat ein islamkritisches Buch geschrieben. Es rechnet in
großer Schonungslosigkeit mit dem Propheten Mohammed ab. Man könnte
sagen, dies sei ein Thema der Stunde. Doch merkwürdig: Die Kritiker
von Hamed Abdel-Samads neuem Buch haben sich kaum für das Buch
selbst interessiert. Stattdessen scheint ihnen die Vita des Autors
viel wichtiger zu sein als ein echter Islamdiskurs über Mohamed.
Eine Abrechnung.
Einige deutsche Islamwissenschaftler
verabschiedeten sich bewusst von ihrer Rolle als Rezensenten, also
objektive Beobachter eines innerislamischen Diskurses, und werden zu
subjektiven Teilnehmern, ja sogar zu Apologeten einer Religion.
Auch Christian H. Meier stellt hier bei ZEIT ONLINE lieber Abdel-Samads Motive
infrage, anstatt sich konkret mit seinen Thesen auseinanderzusetzen.
Er spricht schließlich lieber über das Dilemma der Islamwissenschaft
als Stellung zu beziehen. Meiers unsachliche Kritik ist symptomatisch
für die Haltung einiger Islamwissenschaftler gegenüber islamkritischen
Positionen.
Da ich eingeladen
war, zur Präsentation des Buches mit Abdel-Samad über seine Thesen zu
diskutieren, unterzog ich das Buch einer genauen Lektüre, bei der ich
alle zitierten arabischen und westlichen Quellen überprüfte. Sie
waren korrekt.
Und
doch: Am 27. September in Berlin, bei der Buchpremiere in Berlin, stellte ich fest, wie
gefährlich es sein kann, wenn ein Muslim den Islam durch seine
kanonischen Quellen kritisiert. Wir durften ohne die Erlaubnis der
Personenschutzbeamten von Hamed Abdel-Samad nicht einmal aus der
Limousine des LKA aussteigen. Ein unbeschreibliches Gefühl der
Traurigkeit überkam mich: Den Islam und die Muslime zu kritisieren
ist inzwischen eine lebensgefährliche Angelegenheit.
Das
ist ein Skandal ohnegleichen. Denn ist nicht die Meinungsfreiheit das
höchste Gut für uns alle? Umso trauriger, wie Abdel-Samads Meinung
in der Öffentlichkeit abqualifiziert wurde, nämlich mit äußerst
wenig Sachverstand.
Gleich
am Tag nach der Buchpremiere erschien bei Spiegel Online die erste
Rezension von Daniel Bax. Er erwähnt weder eine Quelle
noch ein Zitat aus dem Buch. Bax vergleicht
aber Abdel-Samads Kritik an Mohammed mit der Kritik früherer
christlicher Theologen, die den Propheten zur Zielscheibe einer
"beispiellosen Gräuelpropaganda" gemacht hätten. Doch der
Vergleich ist unzulässig, denn Abdel-Samad nähert sich der
Geschichte des Propheten nicht aus einer konkurrierenden
theologischen, sondern aus einer religionskritischen Perspektive.
Außerdem sind Abdel-Samads Vorwürfe gegen Mohammed nicht neu,
sondern sehr alt: Sie finden sich nämlich zum größten Teil im
Korantext selbst. Dort ist belegt: Die damaligen Gegner des Propheten
in Mekka betrachteten ihn unter anderem als "besessen" (Koran
81:22) und von Geistern beherrscht (7:184), als Wahrsager (52:29),
Lügner (26:154) und Schwindler (25:4-6).
Abdel-Samad
begegnet dem islamischen Bild vom Propheten mit einer
wissenschaftlich völlig legitimen historisch-kritischen Methode und
zitiert zahlreiche westliche Studien zu Mohammed. Trotzdem nennt
Daniel Bax den Autor des Buches einen Islamhasser und wagt es sogar,
ihn als Salafisten zu bezeichnen, da er angeblich selektiv mit den
historischen Quellen umgehe. Die Hauptthesen des Buches bleiben in
der Rezension ebenso unerwähnt wie die Quellen.
Auch
in der Rezension der FAZ spielt die Vita von Abdel-Samad eine
zentrale Rolle. Der Journalist und Islamwissenschaftler Rainer Hermann schreibt über die Kindheit Abdel-Samads und seine Erfahrung
mit sexuellem Missbrauch – so als sei dessen frühe
Traumatisierung ein Grund, dass er nun den Islam kritisiert.
Abdel-Samad tut dies jedoch als studierter Politikwissenschaftler,
guter Kenner der frühislamischen Quellen sowie der aktuellen Lage in
der islamischen Welt Auch Hermann erhebt den Vorwurf, Abdel-Samad
würde mit den Quellen nicht sorgfältig umgehen, ja er habe sogar
Geschichten über Mohammed erfunden. Doch dem ist nicht so.
Alles,
was Abdel-Samad in seinem Buch über Mohammed erzählt, findet sich
in den anerkannten Quellen des Islam wieder. Dagegen irrt Hermann
selbst, wenn er behauptet, Mohammed habe eine Frau namens Fatima
(604-632) geheiratet und mit ihr gemeinsame Kinder gehabt. Fatima war laut allen islamischen Quellen Mohammeds Tochter, nicht
Ehefrau, und sie war in Wahrheit mit Ali, dem Vetter des Propheten
(600-661), verheiratet. So ein Kardinalfehler sollte einem Kritiker
nicht unterlaufen.
Blättern
wir weiter durch die Rezensionen. Da behauptet also der
Islamwissenschaftler Stefan Weidner, Abdel-Samads Sichtweise sei von
einer "fundamentalistischen Islam-Interpretation geprägt".
Weidner versucht nicht einmal, sich mit den im Abdel-Samads Werk
zitierten arabischen Quellen auseinanderzusetzen. Stattdessen wertet
er den Autor ab, ganz ähnlich wie Daniel Bax, nur in einem anderen
Schreibstil.
Und
noch ein Kritiker: Der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza
hat das Buch von Abdel-Samad für das Internetportal IslamiQ
rezensiert. Murtaza, der den konservativen islamischen Dachverbänden
sehr nahe steht, behauptet nun, Abdel-Samad sei durch die Fülle der
arabischen Quellen "überfordert" und suche sich den "leichtesten
Ausweg": Er reiße Texte aus ihrem Kontext. Stimmt das? Leider
erwähnt Murtaza weder die Thesen des Buches noch die Kontexte.
Murtaza versucht erst gar nicht eine historisch-kritische
Auseinandersetzung mit der Figur des Propheten, sondern er verklärt
und idealisiert ihn durch Rückprojektionen. So betrachtet er etwa
die vom Propheten geführten Kriege als reine Selbstverteidigung.
Abdel-Samad
ist in dieser Hinsicht viel präziser und unterscheidet korrekt
zwischen der friedlichen und der gewalttätigen Phase im Leben des
Propheten. Er dokumentiert anhand des Korans die Ära der
Gewaltmaßnahmen, als Mohammed die Macht des Wortes und die Gewalt
des Schwertes vereinte: so bei der Vertreibung der Juden oder bei dem
im April 627 verübten Massaker am jüdischen Stamm Banu Qurayza.
Doch Murtaza empfiehlt den Lesern statt Abdel-Samad die Bücher der
Islamwissenschaftler Montgomery Watt und Karen Armstrong als
Alternativliteratur. Dabei widerlegen diese Autoren keineswegs die
zentrale These Abdel-Samads von der Gewalttätigkeit des klassischen
Islam, sondern unterstreichen sie vielmehr.
Man
muss nicht unbedingt mit allen Thesen Abdel-Samads einverstanden
sein, etwa der, dass er den Islam für unreformierbar hält. Doch
sein Werk abzuqualifizieren und sich auf die Biografie des Autors zu
kaprizieren, hat mit einer differenzierten Buchkritik nichts zu tun.
Selbstverständlich ist seine Beschäftigung mit dem Islam durch sein
hermeneutisches Vorverständnis und die eigene Erfahrung einigermaßen
belastet. Jedoch kann man ihm seine wissenschaftliche Integrität und
Kenntnis über den Islam nicht absprechen. Gerade in seinem
Mohammed-Buch stellt er als Arabisch-Muttersprachler seine
Vertrautheit mit den arabischen Quellen und zugleich der westlichen
Islam-Literatur unter Beweis. Im Rahmen seiner historisch-kritischen
Lesart verwendet er zentrale arabische Werke, etwa die Biographie des
Propheten von Abd al-Malik Ibn Hischam (gest. 830/3), die Geschichte
der Feldzüge von al-Waqidi (747-823), die Schriften des Ibn Saad
(784-845) oder das Geschichtswerk von at-Tabari (839-923). Hinzu
kommt als wichtige Quelle das im 9./10. Jahrhundert kompilierte
bibliographische Material zur Tradition des Propheten (Sunna). Vor
allem aber beruft sich Abdel-Samad auf den Koran als historisches
Zeugnis, das auf die Lebenszeit des Propheten zurückgeht.
Ein
entscheidender Punkt, der in keiner Rezension eine Erwähnung fand,
ist Abdel-Samads Leistung, die Historizität Mohammeds anhand
islamischer Quellen zu beweisen. Er vergleicht die Berichte über das
Leben des Propheten aus den früheren biographischen Quellen mit der
Entwicklung der Sprache des Korans und kommt zu dem Ergebnis, dass es
hier eine Übereinstimmung gibt. Dafür ordnet er die Suren
chronologisch und nicht nach ihrer Länge wie in der heutigen,
offiziellen Ausgabe des Korans.
Natürlich
kann man Hamed Abdel-Samad mit Gründen kritisieren. Warum aber
werden sie nicht genannt? Gewagt sind zum Beispiel die Vergleiche des
Propheten mit Lenin, Hitler und Stalin oder sogar der Mafia. Der
Autor selbst verweist kurz darauf, dass er diese Vergleiche nicht
anstellen dürfe – und tut es dann doch. Ein anderes Beispiel:
Abdel-Samad sagt, dass Mohammed als "historischer Mensch" des 7.
Jahrhunderts nur unzureichend nach dem Wissen und den Maßstäben des
21. Jahrhunderts beurteilt werden kann. Zugleich aber zeigt er, dass
Mohammed wirkungsgeschichtlich eben nicht im 7. Jahrhundert
verblieben sei, sondern dass das alte Bild von ihm auch im 21.
Jahrhundert noch regiere – es müsse endlich "begraben" werden.
Gewiss
soll Mohammed hier nicht wirklich begraben oder gar vergessen werden.
Der Autor will den Islam lediglich von seinem hagiografisch
dogmatisierten Prophetenbild befreien. Deshalb erscheint der Prophet
hier als Mensch (Koran 18:110) mit eigener Tragik und nicht als Idol.
Die
bislang einzige größere Verteidigung des Buches stammt übrigens
von einem Nicht-Muslim. Jerome Lombard schrieb in der Jüdischen
Rundschau, dass Abdel-Samads Werk keineswegs nur eine weitere
Biographie, sondern eine fokussierte religiöse Abhandlung sei. Er
rät, die Muslime sollten die Thesen von Abdel-Samad ernst nehmen. In
der Tat.
Denn
seine Islamkritik ist ein Geschenk für den Islam. Warum? Niemand
verteidigt heutzutage den Islam und die Muslime heftiger als
westliche Konvertiten und Religionsdialog-Amateure. Der Islam
braucht aber keine uninformierten Rechtsanwälte. Wir Muslime sollten
keine Angst vor Kritik haben, denn fundierte Islamkritik bedeutet
nicht Ablehnung unserer Religion, sondern ist eine emanzipatorische
und herrschaftskritische Notwendigkeit.
Ein
Islam ohne mutige Islamkritik ist zum Scheitern verurteilt – vor
allem im Westen. Denn hier herrscht Religionsfreiheit, und dazu
gehört nicht nur wechselseitige Toleranz, sondern auch
Selbstkritik. Wir benötigen dringend ehrliche Kritikerinnen und
Kritiker des Islams, die den Finger in die Wunde des historischen
Verdrängens legen. Gefragt sind humanistisch gesinnte Muslime, die
klären und aufklären.
Wird
es uns gelingen, endlich ohne Angst über den Tellerrand der eigenen
Religion hinauszuschauen? Werden wir dem fundamentalistischen Islam
einen aufgeklärten Islam entgegensetzen? Autoren wie Hamed
Abdel-Samad sind jetzt mehr denn je wichtig, denn sie haben den Mut,
unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Abdel-Samad ist ein
interessanter Gesprächspartner, denn er legt die Absichten seines
Schreibens vollständig offen. Er fürchtete sich nicht vor der
kritischen Reaktion des Anderen.
Vielleicht
ist das der eigentliche Grund für den Zorn vieler Gegner, die ihm
mit Mord drohen. Abdel-Samad geht das höchste Risiko ein, er setzt
sein Leben aufs Spiel. Es liegt ihm offenbar viel am Islam. Der
Philosoph Michel Foucault nannte solche Freimütigen "Parrhesiasten"
– also wahrhaft Mutige. Auch ich halte seine Bücher für eine Form
der Parrhesia. Ohne sie gibt es keine Reform von Religion.
Abdel-Samads Kunst besteht darin, klar und ohne Verklausulierung,
Verheimlichung oder Maskierung etwas Wahres
zum Ausdruck zu bringen. Abdel-Hakim Ourghi
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