"Es
ist kein Genuss, wenn man wegen seiner Überzeugungen überall Probleme
bekommt, sogar in der eigenen Familie", sagt der 67-jährige
Kommunalpolitiker aus Sachsen-Anhalt. Aber er werde trotzdem auf seinem
eingeschlagenen Weg bleiben: "Ich mache meine Aufklärungsarbeit doch
nicht, um mir den Lebensabend zu versauen. Sondern, weil ich die
Verantwortung sehe."
Unter "Aufklärung" versteht er, den Holocaust zu relativieren.
Jetzt
hat Püschel Rechtsgeschichte geschrieben. Vor dem Oberlandesgericht
(OLG) Naumburg erstritt er einen Freispruch für Behauptungen, die bisher
als Volksverhetzung geahndet wurden. Dieser Beschluss mit dem
Aktenzeichen 2 Rv 150/14 wird das Meinungsklima in der Republik
verändern.
Denn die drei
Richter des 2. Strafsenats beurteilten veröffentlichte Aussagen als
nicht strafbar, die Paragraf 130 des Strafgesetzbuches in Absatz 3
eigentlich untersagt. Danach wird mit Geld- oder Haftstrafe bestraft,
wer "eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene
Handlung" wie Völkermord "billigt, leugnet oder verharmlost".
In
ihrem Freispruch zitieren die Naumburger Richter den maßgeblichen
Kommentar: Volksverhetzung sei "ein ausdrückliches quantitatives oder
qualitatives Bagatellisieren von Art, Ausmaß, Folgen oder Wertigkeiten
einzelner oder der Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen".
Genau
das aber tut Püschel immer wieder. So behauptet er, der Rassenwahn habe
gar nicht rund sechs Millionen jüdische Opfer gefordert. Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau habe es einen "Sportplatz" und "ein modernes Krankenhaus mit 60 Ärzten" gegeben.
Und
er schreibt: "Die seit Kindesbeinen gelernten deutschen Verbrechen sind
Lügen!" Allein in den Passagen, die im Freispruch aufgeführt sind,
lassen sich 16 Behauptungen feststellen, die den Straftatbestand der
Volksverhetzung erfüllen.
"Auch
wenn die Richter natürlich im Zweifel für den Angeklagten entscheiden
müssen, ist es doch überraschend, wie viel Empathie sie hier
aufbringen", sagt Hans-Christian Jasch, der Direktor der Gedenkstätte
Haus der Wannsee-Konferenz. Er ist selbst promovierter Jurist und
deshalb sachverständig genug, um die Entscheidung des OLG Naumburg
einzuordnen: "Der Beschluss lässt auch eine Gesamtwürdigung der Aussagen
des Angeklagten vermissen und billigt dadurch typische revisionistische
Positionen."
Drei
Richter nicht irgendeines Amts- oder Landgerichts, sondern eines
Oberlandesgerichts haben sich also auf die Seite eines unbelehrbaren
Geschichtsrelativierers geschlagen. Es gibt in der Bundesrepublik nur 24
Oberlandesgerichte, und ihre Urteile haben Gewicht. Künftig dürfte es
Richtern an Amts- und Landgerichten noch schwerer fallen als bisher,
rechtsextreme Propaganda zu sanktionieren.
Um
den Fall zu verstehen, muss man sowohl auf die Biografie des
Angeklagten schauen als auch auf die der am Freispruch beteiligten
Richter. Hans Püschel wuchs in der DDR auf, arbeitete als Einkäufer
einer Schuhfabrik, als Melker und zuletzt als Ingenieur in den
Leuna-Werken. Nach der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 baute er in
seiner Heimat die SPD mit auf und wurde Bürgermeister einer kleinen
Gemeinde.
Für Schlagzeilen sorgte Püschel, als er vor sechs Jahren plötzlich für die rechtsextreme NPD
kandidierte. Dieser Seitenwechsel erregte die Gemüter. Seitdem fällt
Püschel, inzwischen Chef der dreiköpfigen NPD-Fraktion im Kreistag des
Burgenlandes rund um die Domstadt Naumburg, durch Provokationen auf. Die
meisten beziehen sich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945.
So ist Püschel davon überzeugt, dass nicht etwa Deutschland den Zweiten Weltkrieg
angezettelt habe, sondern ganz im Gegenteil als einzige europäische
Macht "den Krieg verhindern wollte". Er meint, dass die Verbrechen an
Europas Juden maßlos übertrieben würden. In seinem Weltbild sind stets
die Deutschen die wahren Opfer. Doch das dürfe seit 1945 niemand mehr
aussprechen, beklagt er.
Stattdessen
bestimmten die Propagandalügen der damaligen Siegermächte das Leben und
Handeln der Bevölkerung. Gegen diese angebliche Manipulation rebelliert
Püschel, indem er beispielsweise schreibt: "Wenn wir tausend
Betonklötze in die Mitte Berlins stellen für ermordete Juden, dann
gehörten doch mindestens dreitausend daneben für ermordete Deutsche."
Zunächst
wurde er wegen Volksverhetzung in drei Fällen verurteilt. Erst im
Oktober 2013 vom Amtsgericht Weißenfels zu einer Geldstrafe von 100
Tagessätzen zu je 30 Euro. Dann bestätigte das Landgericht Halle im Juni
2014 das Urteil. Püschel, ein durch und durch rechthaberischer Typ, war
außer sich.
Er
beschwerte sich, dass unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
Meinungsdelikte härter bestraft würden als unter Hitler. Noch im
Gerichtssaal rief Püschel: "Waren denn nationalsozialistische Richter
die letzten unabhängigen Richter in Deutschland?" Die Sache ging in die
Revision zur dritten und letzten Instanz – ans Oberlandesgericht
Naumburg.
Bei
Fachleuten ruft dessen Beschluss Kopfschütteln hervor. Christoph Jahr,
Historiker an der Humboldt-Universität Berlin und Experte für
Antisemitismus, irritiert der "sehr wohlwollende Grundton des Senats
gegenüber den Ausführungen des Angeklagten".
Kaum
anders als "skandalös" könne man die Argumentation der Richter
bezeichnen, die in Püschels Ausführungen zur Opferzahl des KZ Auschwitz
"kein verharmlosendes Herunterrechnen" sehen wollen. Ein Verharmlosen
liege dann vor, wenn der Angeklagte die "Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten
herunterspielt, beschönigt oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert".
Das aber tue Püschel nicht, meinen die Richter, während Jahr vom
Gegenteil überzeugt ist.
Wie
konnte das OLG zu so einem Beschluss kommen? Der 2. Strafsenat hat
immerhin elf Seiten Begründung geschrieben. Unter dem Dokument stehen
die Namen des Vorsitzenden Richters Gerhard Henss sowie seiner Kollegen
Thorsten Becker und Dirk Stötter. Sind diese Juristen etwa auf dem
rechten Auge blind?
Was
auffällt: Der Vorsitzende Richter Henss, 1953 in Detmold geboren, war
nach dem Jurastudium in Nordrhein-Westfalen als Strafverteidiger tätig.
1993 wechselte er auf die Richterbank nach Sachsen-Anhalt. Vom Anwalt
zum Richter – das ist eher unüblich. Liegt hier ein Grund für die Milde,
die der Senat Püschel zuteilwerden ließ? Zuvor hatte Henss schon im
Frühjahr 2011 ein Landgerichtsurteil gegen zwei NPD-Funktionäre wegen
übler Nachrede aufgehoben.
Allerdings
findet sich kein Hinweis darauf, dass Henss selbst eine rechte
Gesinnung haben könnte. Vielmehr gilt der Jurist im Kollegenkreis als
liberal.
Das OLG Naumburg lehnt es ab, Fragen zu dem Beschluss zu
beantworten – unter Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit.
Was bleibt, ist ein verstörendes Signal. Zumal der Freispruch in einem Bundesland ergangen ist, das als Schwerpunkt rechtsextremer
Straftaten gilt. Dabei ist die Zahl der einschlägigen Delikte jüngst
deutlich gestiegen. 2015 wurden 1749 solcher Taten registriert, ein
Zuwachs um 38,7 Prozent.
Rund
sechs von zehn Straftaten sind Propagandadelikte wie das Verwenden
verfassungsfeindlicher Symbole oder das Rufen rechter Parolen.
Regionaler Schwerpunkt ist der Burgenlandkreis, also genau der
Landstrich, in dem Hans Püschel die NPD-Kreistagsfraktion anführt.
Sachsen-Anhalt
steht mit diesem Problem in Deutschland aber nicht allein. In der
Kriminalstatistik 2015 erreichte das Delikt, das auch Püschel
vorgeworfen wurde, ein Rekordniveau: Die Polizei hat 4513 Fälle von
Volksverhetzung bearbeitet. Konkret bedeutet dies, dass an jedem Tag des
Jahres durchschnittlich zwölf solcher Straftaten registriert wurden.
Hans
Püschel sieht sich durch den OLG-Beschluss ermuntert, seine Thesen
weiterhin offensiv zu verbreiten. Man habe ihn ja "endgültig vom Makel
der Volksverhetzung freigesprochen". Ohnehin ist er davon überzeugt,
dass Paragraf 130 Strafgesetzbuch dazu diene, ein ganzes Volk zu
terrorisieren: "Der gehört abgeschafft."
Zuletzt
hatte der Ostdeutsche seine Ansichten in einem Blog auf der Website
"hans-pueschel.info" kundgetan. Doch diese Seite ist seit einigen
Monaten offline.
Püschel bedauert das und sucht einen neuen Betreiber.
Auch wenn der Blog nicht mehr direkt aufgerufen werden kann, lassen sich
die Inhalte größtenteils rekonstruieren – das Netz vergisst (fast)
nichts. Wer sich diese Mühe macht, stößt auf Äußerungen Püschels, die
bisher vor Gericht keine Rolle gespielt haben. Dabei dürften sie
strafrechtlich viel brisanter sein.
Paragraf
130 sanktioniert nämlich verschiedene Vorwürfe unterschiedlich.
Ursprünglich zu einer Geldstrafe verurteilt, dann aber vom OLG Naumburg
freigesprochen wurde Püschel wegen Verstoßes gegen Absatz 3, der die
Verharmlosung von NS-Verbrechen unter Strafe stellt.
Jedoch
sieht Absatz 1 mindestens drei Monate bis fünf Jahre Haft für Täter
vor, die den öffentlichen Frieden stören, weil sie die Menschenwürde von
gesellschaftlichen Gruppen angreifen, indem sie deren Mitglieder
beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden.
Genau
das tut Püschel mit "den" Juden. Liest man seine rekonstruierten
Ausführungen, drängt sich der Eindruck auf, als wolle er Julius
Streicher imitieren, den Gründer des Hetzblattes "Der Stürmer". Wie
sonst ließe sich erklären, dass Püschel über "den dubiosen bis
bösartigen und für Deutschland verheerenden Einfluss der Juden bzw. des
Zionismus auf Deutschland" schwadroniert?
Allen
Ernstes behauptet er: "Die Freiheit des Wortes, der Wissenschaft und
Lehre ist mit der Machtergreifung der jüdischen Rückkehrer und
Umerzieher in Hochschulen und Medien sukzessive ausgemerzt worden." Er
spricht von "jüdischem Besatzerrecht", das in Deutschland gelte, und
stellt perfide Fragen: "Juden dürfen alles in Deutschland, auch lügen
und betrügen? Haben sie unantastbaren Sonderstatus?"
Dass
derartige Entgleisungen nicht geahndet werden, ist für jüdische
Deutsche nur schwer erträglich. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden,
mag trotzdem keine Richterschelte betreiben. "Selbstverständlich
stellen wir nicht die Kompetenz und Unabhängigkeit unserer Gerichte
infrage", sagt er.
Zugleich
erwarte man aber gerade angesichts des wachsenden Rechtsextremismus in
Deutschland "eine hohe Sensibilität unserer Justiz für alle Versuche,
die deutsche Geschichte umzuschreiben oder die NS-Opfer durch eine
inakzeptable Verharmlosung der NS-Verbrechen zu verhöhnen". DIE WeLT
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