Stationen

Freitag, 5. August 2016

Ein deutsches Schicksal

5. August 2016. Heute vor 97 Jahren wurde mein Vater, Max Walter Heinz Klinkigt, geboren. Heute vor 26 Jahren schied er aus dem Leben.
Anfang der 1950er Jahre übernahm mein Vater von meinem Großvater dessen kleinen Zimmermannsbetrieb in Stolpen (Sachsen, damals »DDR«), aus dem er in den darauf folgenden zwei Jahrzehnten mit viel Schweiß und Engagement ein florierendes Bauunternehmen mit über 25 Beschäftigten machte: die Heinz Klinkigt Hoch-, Tief- und Stahlbetonbau KG (einen sog. „Betrieb mit staatlicher Beteiligung“).
1972 fand der unternehmerische Aufschwung dann ein jähes Ende: der Betrieb wurde von Honeckers Schergen zwangsverstaatlicht. Mein Vater wurde praktisch enteignet, wobei man diesem perfiden Raub noch ein dünnes Mäntelchen namens „Abfindung“ umhängte – er bekam eine lächerlich geringe Summe, die in keiner Relation zu dem einkassierten Vermögen stand, über 10 Jahre verteilt, ausgezahlt.
Großzügig überließ man ihm in dem nunmehr frisch gebackenen „VEB Baureparaturen“ eine Stelle als „Leiter der Materialversorgung“, die er – wenn auch widerstrebend – annahm. (Mein Vater war ein kluger Kapitalist gewesen, dessen Baufirma selbst in der armseligen kleinen DDR – dank seines Organisationstalents – nie unter Materialproblemen gelitten hatte.) Ein oder zwei Jahre später wurde er dann von dem neuen Betriebsleiter, einem strammen SED-Parteigenossen, endgültig aus seinem alten Betrieb hinausgeekelt und verbrachte den Rest seiner Arbeitsjahre als Leiter der Materialversorgung bei dem Landbaubetrieb einer Nachbargemeinde.
Ich kann mich noch gut an die jahrelange, ohnmächtige Wut meines Vaters über dieses schmähliche Ende seines unternehmerischen Erfolges erinnern. An sein permanentes Zähneknirschen und Fluchen über die „Kommunistenschweine, die mir meine Firma zurück geben müssen“, mit dem er sich sein restliches Leben noch zusätzlich vergällte. Im Laufe der Jahre entstand dann in seinem Kopf eine fixe Idee, die von anderen (ich gebe zu, auch von mir) nur müde belächelt wurde: „Irgendwann hat diese DDR abgewirtschaftet“, pflegte er dann zu sagen, „und sie müssen mir mein Eigentum zurück geben.“
Die Jahre vergingen. Und dann passierte tatsächlich das, was der Alte immer prophezeiht hatte: Ende 1989 brach das ganze wacklige Gebilde des sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Paradieses krachend zusammen.
Mein Vater, mittlerweile 70 Jahre alt, stellte umgehend einen sog. „Reprivatisierungsantrag“ mit der Absicht, seinen Baubetrieb – von dem allerdings nur noch die kläglichen, vergammelten Reste seines einst stolzen Betriebshofs übrig geblieben waren – wieder zu eröffnen. Er gründete eine GmbH, schrieb Stellenanzeigen aus, stellte einen Betriebsleiter ein und suchte nach Geschäftspartnern. Die fand er auch, erkannte aber leider zu spät, dass er sich offenbar mit Hochstaplern eingelassen hatte, die an sein neues Betriebsvermögen ran wollten.
In der Nacht seines 71. Geburtstages, am 5. August 1990, zog er die Reißleine und knipste das Licht seines Lebens aus.
Epilog:
Zwei Jahre vor seinem Tod durfte mein Vater – mittlerweile im Rentenalter – auch einmal „in den Westen“ reisen (zusammen mit seiner Lebensgefährtin und zu deren Verwandten), ich glaube, in den Hunsrück. Da er jedoch keine Lust hatte, sich dort von diesen Verwandten aushalten zu lassen, fragte er die Gastgeber, ob sie ihm vielleicht ein Fahrrad leihen könnten. Er setzte sich auf das Rad und klapperte die umliegenden Ortschaften nach „Häuslebauern“ ab. Irgendwann fündig geworden, klingelte er bei einem solchen, bot seine Dienste als Maurer und Zimmermann an und verdiente sich damit zwei Wochen lang seinen Lebensunterhalt.
Ich bin mir sicher, meinem Vater hätte das Buch »Der Streik« von Ayn Rand gefallen.  Stefan Klinkigt

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