Es war schon während der Regierungszeit Obamas, als US-Drohnen auf
den pakistanischen Taliban-Führer Baitulla Mehsud die Jagd eröffneten.
Es mussten sieben Angriffe geflogen werden, bis Mehsud zu Tode kam, was
in den USA als großer Schlag gegen den Terrorismus gefeiert wurde. Nicht
zur Sprache kam der Umstand, dass den Angriffen auf den Taliban auch
164 Zivilisten zum Opfer fielen. Über ein Jahr später, im Oktober 2010,
ebenfalls in Pakistan: US-Drohen fliegen sechs Angriffe auf den Taliban
Qari Hussain bis er getroffen wird. Die Einsätze kosteten zudem 128
Zivilisten das Leben.
Solche Zahlen widersprechen auffällig einer
Bilanz, die Präsident Obama dieser Tage vorgelegt hat und die getötete
Terroristen gegen tote Zivilsten aufrechnet.
Danach kamen durch
US-Drohnen seit Obamas Amtsantritt rund 2500 Islamisten ums Leben und
nur 116 Unbeteiligte. Dabei ist völlig unerfindlich, wie diese Zahl von
116 zustande kommt, wenn sich die Zahl toter Zivilisten bereits in
Obamas erstem Amtsjahr auf annähernd 500 belaufen haben dürfte. Denn
jene Bilanz gilt von damals bis heute. Misstrauen gegenüber Obamas
Darlegung ist auch deshalb geboten, weil er nach seiner Wahl volle drei
Jahre benötigte, um einzugestehen, dass die USA überhaupt planmäßig
Drohnen einsetzen, um Menschen zu töten. Die Vermutung, derlei sei ohne
sein Wissen geschehen, trifft nicht zu. Es ist das persönliche Vorrecht
des Präsidenten, Namen von missliebigen Personen auf eine Liste zu
setzen und mit seiner Unterschrift deren Todesurteil zu unterzeichnen,
ohne Richter, Anklage und Prozess. Da diese Liste immer an einem
Dienstag auf den neuesten Stand gebracht wird, heißt dieser Tag in
Washington der „Killing Tuesday“. Obama, der Friedensnobelpreisträger,
hat nach seiner Amtsübernahme diese Einsätze gegenüber seinem Vorgänger
George W. Bush verachtfacht.
Seit der Drohnen-Krieg nicht mehr zu
vertuschen ist, versuchen die USA, ihn als eine saubere Methode
hinzustellen, die in chirurgisch-präziser Weise Unholde ausschalte und
so einen unverzichtbaren Teil des „Kampfes gegen den Terror“ darstelle.
Zu diesem Zweck muss natürlich auch die unerträglich große Zahl
unschuldiger Opfer geschönt werden. Doch Widerspruch kommt von äußerst
kompetenter Seite. Die Nicht-Regierungs-Organisation „Reprive“ ist
ein weltweiter Zusammenschluss von Gesellschaften, die hauptsächlich
gegen die Todesstrafe kämpfen, mit Sitz in London und New York.
Sie gab
im November des vergangenen Jahres ihre neuesten Statistiken heraus.
Dabei ging es um die „Kollateralschäden“ der US-Drohenangriffe in
Afghanistan, Pakistan, Somalia und dem Jemen. Die Daten dazu wurden in
Zusammenarbeit mit dem „Bureau of Investigative Journalism“ erstellt.
Die zentrale Aussage: Bei 41 Angriffen auf tatsächliche oder angebliche
Terror-Paten kamen mindestens 1147 Zivilisten, hauptsächlich Familien
und Kinder, ums Leben.
„Drohnenangriffe wurden der US-amerikanischen
Öffentlichkeit als präzise verkauft. Aber sie sind nur so präzise wie
die Informationen, auf deren Grundlage sie eingesetzt werden. An
Informationen über einen ,Bösewicht‘, den die USA jagen, und
dessentwegen 28 unbekannte Menschen sterben, darunter Frauen und Kinder,
ist nichts präzise,“ sagt Jennifer Gibson, die die Studie von Reprieve
leitete.
Zeugenschaft in demselben Sinn gibt die Online-Plattform
„The Intercept“. Sie veröffentlichte in einem Dossier mit dem Titel „Die
Tötungsmaschine“ Dokumente, die ihr dem Vernehmen nach von einem
Geheimdienst zugespielt worden sind. Danach sind im Zuge der Operation
„Haymaker“ vom Januar 2012 bis zum Februar 2013 mehr als 200 Menschen
getötet worden, davon 35 Terror-Verdächtige. Die US Army, so „The
Intercept“ weiter, führe die Toten als „im Kampf getötete Feinde“.
Zu
dem Dossier befragt, antwortete der Sprecher des Weißen Hauses, Josh
Earnest, etwas dünn, US-Präsident Obama sorge für möglichst große
Transparenz, was die globalen „Anti-Terror-Operationen“ der USA angehe.
Die Tatsache, dass nicht einmal er die Glaubwürdigkeit der Quelle in
Abrede stellte, verbietet alle Zweifel daran.
Doch unabhängig von der
Frage nach Art und Schuld der Drohnen-Opfer stellt sich angesichts der
390 Angriffe in Obamas ersten fünf Amtsjahren und den 3000 Toten allein
in dieser Zeit die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage dieses Blut
vergossen wird. Die USA befinden sich mit keinem der betroffenen Länder
in einem erklärten Kriegszustand, und wenn ein faktischer herrscht, dann
deshalb, weil die USA das entsprechende Land überfallen haben. Der
Drohnenkrieg umfasst den halben Erdball und bringt neben tausendfachem
Elend nur eines hervor: überreichen Zulauf für diejenigen Partisanen,
die man dem Islamismus in die Hände treibt und die dann, versehen mit
dem Kennzeichen des Terrorismus, als Rechtfertigung für weitere Kriege
von USA und Nato dienen können.
Dieser umfassende, rechtswidrige
Krieg wird wesentlich von Deutschland unterstützt, weil er technisch
nicht möglich wäre ohne die US-Flugbasis in Ramstein. Nie hat die
Kanzlerin angedeutet, dieser Zustand bedürfe der Korrektur, weil er
einen Konflikt unter anderem mit dem Grundgesetz darstelle. Und das
tausendfache Töten gerät in Vergessenheit, wenn die Kanzlerin mit dem
US-Präsidenten über die „gemeinsamen Werte“ plaudert.
Obamas
Eingeständnis von nur 116 unschuldigen Opfern kann daher nur einen Zweck
verfolgen: den Anschein zu erwecken, damit seien alle dahingehenden
Fragen beantwortet und das Problem bei weitem nicht so groß wie von
Querulanten dargestellt. Und dann kommen der nächste Dienstag und die
nächste Liste. Florian Stumfall
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