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Donnerstag, 4. August 2016

Killing Tuesday

Es war schon während der Regierungszeit Obamas, als US-Drohnen auf den pakistanischen Taliban-Führer Baitulla Mehsud die Jagd eröffneten. Es mussten sieben Angriffe geflogen werden, bis Mehsud zu Tode kam, was in den USA als großer Schlag gegen den Terrorismus gefeiert wurde. Nicht zur Sprache kam der Umstand, dass den Angriffen auf den Taliban auch 164 Zivilisten zum Opfer fielen. Über ein Jahr später, im Oktober 2010, ebenfalls in Pakistan: US-Drohen fliegen sechs Angriffe auf den Taliban Qari Hussain bis er getroffen wird. Die Einsätze kosteten zudem 128 Zivilisten das Leben.
Solche Zahlen widersprechen auffällig einer Bilanz, die Präsident Obama dieser Tage vorgelegt hat und die getötete Terroristen gegen tote Zivilsten aufrechnet.

Danach kamen durch US-Drohnen seit Obamas Amtsantritt rund 2500 Islamisten ums Leben und nur 116 Unbeteiligte. Dabei ist völlig unerfindlich, wie diese Zahl von 116 zustande kommt, wenn sich die Zahl toter Zivilisten bereits in Obamas erstem Amtsjahr auf annähernd 500 belaufen haben dürfte. Denn jene Bilanz gilt von damals bis heute. Misstrauen gegenüber Obamas Darlegung ist auch deshalb geboten, weil er nach seiner Wahl volle drei Jahre benötigte, um einzugestehen, dass die USA überhaupt planmäßig Drohnen einsetzen, um Menschen zu töten. Die Vermutung, derlei sei ohne sein Wissen geschehen, trifft nicht zu. Es ist das persönliche Vorrecht des Präsidenten, Namen von missliebigen Personen auf eine Liste zu setzen und mit seiner Unterschrift deren Todesurteil zu unterzeichnen, ohne Richter, Anklage und Prozess. Da diese Liste immer an einem Dienstag auf den neuesten Stand gebracht wird, heißt dieser Tag in Washington der „Killing Tuesday“. Obama, der Friedensnobelpreisträger, hat nach seiner Amtsübernahme diese Einsätze gegenüber seinem Vorgänger George W. Bush verachtfacht.

Seit der Drohnen-Krieg nicht mehr zu vertuschen ist, versuchen die USA, ihn als eine saubere Methode hinzustellen, die in chirurgisch-präziser Weise Unholde ausschalte und so einen unverzichtbaren Teil des „Kampfes gegen den Terror“ darstelle. Zu diesem Zweck muss natürlich auch die unerträglich große Zahl unschuldiger Opfer geschönt werden. Doch Widerspruch kommt von äußerst kompetenter Seite. Die Nicht-Regie­rungs-Organisation „Reprive“ ist ein weltweiter Zusammenschluss von Gesellschaften, die hauptsächlich gegen die Todesstrafe kämpfen, mit Sitz in London und New York.

Sie gab im November des vergangenen Jahres ihre neuesten Statistiken heraus. Dabei ging es um die „Kollateralschäden“ der US-Drohenangriffe in Afghanistan, Pakistan, Somalia und dem Jemen. Die Daten dazu wurden in Zusammenarbeit mit dem „Bureau of Investigative Journalism“ erstellt. Die zentrale Aussage: Bei 41 Angriffen auf tatsächliche oder angebliche Terror-Paten kamen mindestens 1147 Zivilisten, hauptsächlich Familien und Kinder, ums Leben.
„Drohnenangriffe wurden der US-amerikanischen Öffentlichkeit als präzise verkauft. Aber sie sind nur so präzise wie die Informationen, auf deren Grundlage sie eingesetzt werden. An Informationen über einen ,Bösewicht‘, den die USA jagen, und dessentwegen 28 unbekannte Menschen sterben, darunter Frauen und Kinder, ist nichts präzise,“ sagt Jennifer Gibson, die die Studie von Reprieve leitete.

Zeugenschaft in demselben Sinn gibt die Online-Plattform „The Intercept“. Sie veröffentlichte in einem Dossier mit dem Titel „Die Tötungsmaschine“ Dokumente, die ihr dem Vernehmen nach von einem Geheimdienst zugespielt worden sind. Danach sind im Zuge der Operation „Haymaker“ vom Januar 2012 bis zum Februar 2013 mehr als 200 Menschen getötet worden, davon 35 Terror-Verdächtige. Die US Army, so „The Intercept“ weiter, führe die Toten als „im Kampf getötete Feinde“.
Zu dem Dossier befragt, antwortete der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, etwas dünn, US-Präsident Obama sorge für möglichst große Transparenz, was die globalen „Anti-Terror-Operationen“ der USA angehe. Die Tatsache, dass nicht einmal er die Glaubwürdigkeit der Quelle in Abrede stellte, verbietet alle Zweifel daran.

Doch unabhängig von der Frage nach Art und Schuld der Drohnen-Opfer stellt sich angesichts der 390 Angriffe in Obamas ersten fünf Amtsjahren und den 3000 Toten allein in dieser Zeit die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage dieses Blut vergossen wird. Die USA befinden sich mit keinem der betroffenen Länder in einem erklärten Kriegszustand, und wenn ein faktischer herrscht, dann deshalb, weil die USA das entsprechende Land überfallen haben. Der Drohnenkrieg umfasst den halben Erdball und bringt neben tausendfachem Elend nur eines hervor: überreichen Zulauf für diejenigen Partisanen, die man dem Islamismus in die Hände treibt und die dann, versehen mit dem Kennzeichen des Terrorismus, als Rechtfertigung für weitere Kriege von USA und Nato dienen können.
Dieser umfassende, rechtswidrige Krieg wird wesentlich von Deutschland unterstützt, weil er technisch nicht möglich wäre ohne die US-Flugbasis in Ramstein. Nie hat die Kanzlerin angedeutet, dieser Zustand bedürfe der Korrektur, weil er einen Konflikt unter anderem mit dem Grundgesetz darstelle. Und das tausendfache Töten gerät in Vergessenheit, wenn die Kanzlerin mit dem US-Präsidenten über die „gemeinsamen Werte“ plaudert.
Obamas Eingeständnis von nur 116 unschuldigen Opfern kann daher nur einen Zweck verfolgen: den Anschein zu erwecken, damit seien alle dahingehenden Fragen beantwortet und das Problem bei weitem nicht so groß wie von Querulanten dargestellt. Und dann kommen der nächste Dienstag und die nächste Liste.    Florian Stumfall


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