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Samstag, 13. August 2016

Warum Homöopathie nicht in Arztpraxen und Apotheken gehört


 
Von Marisa Kurz.
Homöopathen versuchen Gleiches mit Gleichem zu heilen: was in hoher Dosis bestimmte Beschwerden auslöst, soll in niedriger Dosis eben diese Beschwerden lindern. Deshalb setzt die Homöopathie vor allem giftige Substanzen ein – in der Hoffnung, dass deren Wirkung durch die Verdünnung umgekehrt wird. Bienengift, Tollkirsche, Blausäure, Quecksilber, Krötenexkret oder Stinktier-Afterdrüsensekret werden mit Trägersubstanzen vermengt und mehrfach geschüttelt oder verrieben. Durch diesen Verdünnungsprozess werden sie nach Auffassung der Homöopathen „potenziert“. Hochpotenzierte Homöopathika sind letztendlich so stark verdünnt, dass sie die Ursprungssubstanzen (zum Glück) nicht mehr enthalten. Worauf aber soll die Wirkung der Kügelchen dann beruhen? Homöopathen glauben, dass Trägersubstanzen wie zum Beispiel Wasser ein „Gedächtnis“ haben und sich an den „Abdruck“ des zuvor enthaltenen Giftstoffmoleküls erinnern. Darauf, so meinen sie, beruht die Wirkung von Homöopathika.
Obwohl man mit modernen Analytik-Methoden keine Wirkstoffmoleküle mehr in hochpotenzierten Homöopathika nachweisen kann, wurde in weit über hundert Studien untersucht, ob Homöopathika doch besser als ein Placebo wirken. Eine solche Wirkung konnte allerdings in keiner einzigen wissenschaftlich korrekt durchgeführten Studie nachgewiesen werden. Keine große Überraschung: immerhin sind die Grundannahmen der Homöopathie mit dem heutigen Wissen über Chemie, Physik oder Medizin nicht vereinbar.
Obwohl die Wirkung von Homöopathika also lediglich auf dem Placebo-Effekt beruht, sind viele Anwender damit zufrieden. Auch haben Wirkstoff-freie Homöopathika natürlich keine Nebenwirkungen – was spricht also dagegen, sie zu vertreiben? Zunächst einmal nichts, denn Patienten können natürlich autonom entscheiden, ein Mittel einzunehmen, das ihnen subjektiv hilfreich erscheint. Die Frage ist eher, ob ein Mittel, das keine nachweisbare Wirkung hat, in eine Arztpraxis oder Apotheke gehört. Wenn medizinische Autoritäten Homöopathika verschreiben oder vertreiben, kann das erheblichen gesellschaftlichen Schaden anrichten, weil Patienten dadurch in Unwissenschaftlichkeit geschult werden.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass Homöopathika aus sehr günstigen Rohstoffen, etwa Milchzucker, hergestellt und dann teuer verkauft werden. Durch ihren Verkauf werden allein in Deutschland jährlich dreistellige Millionenbeträge erwirtschaftet. Ihr Vertrieb wird durch die Sonderstellung von Homöopathika im Arzneimittelgesetz stark vereinfacht -  für ihre Zulassung müssen sie nämlich keinen Wirkungsnachweis erbringen (den sie, wie ich gerade beschrieben habe, auch gar nicht erbringen können – wie praktisch!). Hohe Kosten für klinische Studien fallen damit weg. Letztendlich werden Zuckerkügelchen unter falschen Versprechungen für Unsummen an Patienten verkauft.

Wenn Arzt oder Apotheker einen Zaubertrank anbieten

Ich nehme an Sie wissen, wer Goethe war oder wann der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat –  aber wenn ich Sie nun frage, was genau ein Ribosom ist, sieht es vermutlich düsterer aus. Kein Wunder, denn die naturwissenschaftliche und medizinische Allgemeinbildung in Deutschland ist eher schlecht. Zum Glück gibt es medizinisches Fachpersonal, das Sie bei Problemen zu Rate ziehen können. Nicht umsonst heißt es: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Diese beiden Berufsgruppen genießen wohl vor allem wegen ihrer langen und anspruchsvollen universitären Ausbildung ein besonderes Ansehen in der Gesellschaft.
Wenn ein Arzt oder Apotheker Ihnen ein Medikament empfiehlt, dann glauben Sie wahrscheinlich, dass dieses Mittel wirkt. Als Laie bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als auf das Wissen dieser medizinischen Autoritäten zu vertrauen. Was passiert nun, wenn Ärzte oder Apotheker Ihnen Medikamente empfehlen, die nicht wirken? Wahrscheinlich dasselbe: Sie glauben, dass diese wirken.
Die Wirkung von Homöopathika ist wissenschaftlich genauso gut belegt wie die Wirkung von Zaubertränken – nämlich gar nicht. Wenn Ihnen ein Arzt oder Apotheker Homöopathika empfiehlt, könnte er Ihnen ebenso gut einen Zaubertrank anbieten – mit dem einzigen Unterschied, dass Homöopathika gesellschaftlich anerkannt sind.
Aber ist es ein Problem, Zaubertränke an Patienten zu verkaufen? Ja – denn sobald medizinische Autoritäten wie Ärzte oder Apotheker Patienten angebliche Heilmittel empfehlen, deren postulierter Wirkmechanismus unserem heutigen Wissen widerspricht, laufen sie Gefahr, eine regelrechte Wissenschaftsfeindlichkeit und eine generelle Ablehnung der „Schulmedizin“ zu fördern. Den Patienten wird so suggeriert, dass es unerheblich ist, ob es für die Wirksamkeit einer Heilmethode wissenschaftliche Belege gibt oder nicht. Es bestärkt sie darin, an Kräfte zu glauben, die über der Nachweisbarkeit durch naturwissenschaftliche Methoden stehen und die mit unserem heutigen Wissensstand nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Dies birgt die Gefahr der Volksverdummung. Gefährdet sind nicht nur die Handlungsfähigkeit unserer gesamten Gesellschaft in naturwissenschaftlichen und medizinischen Fragen, sondern auch die Autonomie und das Leben der Patienten.

Vertrauen auf „alternative“ Verfahren - manchmal bis zum Tod

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen buchstäblich bis in den Tod auf „alternative“ Verfahren vertrauen und „schulmedizinische“ Behandlungen verweigern. Zwar sind extreme Fälle, in denen der Glaube an Homöopathika indirekt zum Tod eines Patienten führt, zum Glück nicht die Regel. Doch wir müssen weiter denken: wenn medizinische Autoritäten Patienten signalisieren, dass wissenschaftliche Belege für Heilmethoden zweitrangig sind, wirkt sich das auf alle medizinischen Entscheidungen dieser Patienten aus. Patienten, die von ihren Ärzten in Unwissenschaftlichkeit geschult werden, können keine reflektierten medizinischen Entscheidungen treffen, etwa über die Vorteile von Impfungen. Gerade am Beispiel der Impfungen sehen wir, wie gefährlich eine systematische Skepsis gegenüber der „Schulmedizin“ werden kann: Plötzlich kämpfen wir wieder mit Infektionen, die fast ausgerottet waren.
Desinformation untergräbt die Autonomie und Entscheidungsfähigkeit von Patienten erheblich. In der Zukunft aber werden Patienten immer häufiger Entscheidungen treffen müssen, die ein gewisses medizinisches und naturwissenschaftliches Verständnis voraussetzen – zum Beispiel, wenn sie dem Ergebnis genetischer Diagnostik konfrontiert sind. Solche weitreichenden medizinischen Entscheidungen treffen Patienten unter Umständen nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder, Ehepartner oder für demente Angehörige. Deshalb ist es wichtig, die Urteilskraft der Patienten zu stärken anstatt sie zu ermuntern, an mysteriöse Kräfte zu glauben. Hier wäre eigentlich das medizinische Fachpersonal in der Pflicht, Patienten mit medizinischem Wissen zu versorgen, das über den Stand von 1796 hinausgeht.
Nebenbei bemerkt: Über den medizinischen Wissenstand von 1796 sollten Ärzte und Apotheker im Rahmen ihres Studiums eigentlich nur in einem Fach gehört haben: in der Medizingeschichte. Schon 1992 sprach sich etwa der Fachbereich Humanmedizin der Phillips-Universität Marburg in der bekannten Marburger-Erklärung zur Homöopathie dagegen aus, dass die Homöopathie in den Gegenstandskatalog des Medizinstudiums aufgenommen wird. In der Erklärung schrieben die Mediziner, dass man Studenten dann ebenso in astrologischer Gesundheitsberatung schulen müsse.

Ein Land das auf Aberglaube vertraut, wird technologisch zurückfallen

Selbst weitreichende gesellschaftspolitische Entscheidungen – etwa zum Einsatz von Gentechnik oder zur Forschung an Stammzellen – werden davon beeinflusst, wie gut oder schlecht die Bevölkerung über naturwissenschaftliche und medizinische Themen informiert ist. Ein Land, das seine Bürger mit „naturwissenschaftlichem“ Wissen ruhigstellt, das aus einer Zeit stammt, in der die letzte Hexe in Europa geköpft wurde, läuft Gefahr, auch technologisch rückständig zu werden.
Daneben schadet Homöopathie der Allgemeinheit auch in finanzieller Hinsicht: Krankenkassen und Forschungseinrichtungen sehen sich aufgrund der großen Beliebtheit von Homöopathika gezwungen, Kosten für Behandlungen zu erstatten oder weiter Gelder für die Forschung an Homöopathika auszugeben. Versicherte und Steuerzahler müssen mit ihren Beiträgen für wirkungslose Behandlungen mit aufkommen oder sogar dafür zu bezahlen, dass zu Fragen wie der Wirksamkeit von Homöopathika geforscht wird, obwohl die Antwort längst bekannt ist.
Viele werden entgegnen, dass Ärzte bei der Behandlung von Patienten – vor allem von Kindern – regelrecht in der Pflicht sind, sich den Placebo-Effekt zu Nutze zu machen. Das sehe ich auch so. Doch gibt es dafür andere Möglichkeiten, die nicht mit einer systematischen Fehlinformation von Patienten einhergehen. Ärzte könnten auf beliebige andere Substanzen zurückgreifen, um einen Placebo-Effekt zu erzielen.

Vorschlag zur Güte: Homöopathika könnten in Drogerien vertrieben werden

Homöopathika könnten außerhalb von Arztpraxen oder Apotheken vertrieben werden, zum Beispiel in Drogerien. Dort könnten Patienten die Mittel kaufen – ohne dass Fehlinformationen durch medizinisches Personal erforderlich wären. Auch die Tatsache, dass sich Homöopathen in der Regel viel Zeit für ihre Patientengespräche nehmen und dies positiv zur Genesung beiträgt, ist sicherlich kein Argument für die Homöopathie, sondern ein Argument gegen das System der Massenabfertigung in unserem Gesundheitswesen.
Fakt ist: wir gefährden Patienten und untergraben ihre Autonomie, wenn wir uns im weißen Kittel vor sie stellen und ihnen Zaubertränke verkaufen. Medizinische Autoritäten und Gesetzgeber sind in der Pflicht zu hinterfragen, ob das Millionengeschäft mit Homöopathika eine Volksverdummung wirklich wert ist. Es ist Zeit für das Ende der Apothekenpflicht für Homöopathika. Sie sollten an den Platz verwiesen werden, an den sie gehören: in Drogerien oder die Süßigkeitenregale von Supermärkten.
Marisa Kurz, geboren 1988, hat zwar im Doppelstudium Biochemie und Philosophie studiert und abgeschlossen, will aber  Ärztin werden. Deshalb studiert sie seit 2014 Humanmedizin in München und promoviert in Medizinethik. Ihr vollintegrierter bosnischer Straßenhund hat seit kurzem einen EU-Haustierausweis. Marisa schreibt nebenbei Texte und versucht sie bei namhaften Blättern zu veröffentlichen.    

Siehe auch Alternative Medizin

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